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Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 3. November 1989-VG 10 A 4.88

Publisher Germany: Verwaltungsgericht
Publication Date 3 November 1989
Citation / Document Symbol VG 10 A 4.88
Cite as Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 3. November 1989-VG 10 A 4.88, VG 10 A 4.88, Germany: Verwaltungsgericht, 3 November 1989, available at: https://www.refworld.org/cases,DEU_VERWALT2,3ae6b7398.html [accessed 20 May 2023]
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Verwaltungsgericht Berlin

Urteil

Im Namen des Volkes

In der Verwaltungsstreitsache

X gegen das Land Berlin, vertreten durch das Landeseinwohneramt Berlin
- Abt. IV B -, Friedrich-Krause-Ufer 24, 1000 Berlin 65,

Beklagten hat das Verwaltungsgericht Berlin, 10. Kammer, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. November 1989 durch

den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Laudemann,

den Richter am Verwaltungsgericht MacLean,

den Richter am Verwaltungsgericht Schrage,

die ehrenamtliche Richterin Baublies und

den ehrenamtlichen Richter Kahlfeldt

für Recht erkannt:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Landeseinwohneramts Berlin vom 10. Dezember 1987 und des Widerspruchsbescheides des Senators für Inneres vom 22. März 1988 zu Ziffer 3 verpflichtet, dem Kläger einen Reiseausweis gemäß Artikel 28 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge auszustellen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird die Abwendung der Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages nachgelassen, sofern der Kläger nicht zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Tatbestand

Der Kläger ist palästinensischer Volkszugehöriger und wurde im Jahre 1963 in Beirut geboren. Seine Familie hatte bis 1948 in Heifa gelebt und war anschließend in den Libanon übergesiedelt, wo sie sich nacheinander in den Flüchtlingslagern Al Basta und Tel Saatar (beide Beirut) und nach in Bourj Ei Baranje aufhielt. Der Vater des Klägers war mit insgesamt 11 Familienmitgliedern ohne nähere Namensbezeichnung von dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) registriert; nach Verlust der ursprünglichen Karte wurde am 12. März 1985 eine neue Registrierungskarte mit der Nummer 32512704/11629 ausgestellt.

Am 15. September 1978 reiste der Kläger nach Berlin (West) ein. Damals war er im Besitz eines von der Republik Libanon ausgestellten Reiseausweises für Palästinaflüchtlinge mit der Nummer 021475. Die Gültigkeit dieses Reisedokumentes wurde letztmalig am 12. Oktober 1981 für ein Jahr vom libanesischen Honorarkonsul in Berlin verlängert. Mit Schriftsatz vom 28. September 1978 beantragte der Kläger die Anerkennung als Asylberechtigter, die letztlich mit Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Februar 1986 (VG 20 A 95.82) rechtskräftig abgelehnt wurde. Am 5. Februar 1986 bemühte sich die Ausländerbehörde, über die Botschaft des Libanon in Bonn eine Verlängerung des abgelaufenen Reiseausweises des Klägers herbeizuführen. Über den Eingangsbescheid vom 13. Februar 1985 hinaus erfolgte daraufhin keine weitere Nachricht. Am 1. Juli 1987 beantragte der Kläger selbst bei der Botschaft des Libanon eine Verlängerung des Reisedokumentes. Nach weiteren Rückfragen bescheinigte die Botschaft dem Kläger unter dem 15. Dezember 1988, daß noch immer keine erforderliche Genehmigung der zuständigen Beiruter Behörden zur Verlängerung des Reisedokumentes vorliege. Es sei auch nicht abzusehen, wann ein diesbezüglicher Bescheid ergehen werde.

Mit Schreiben vom 11. August 1987 an das Landeseinwohneramt Berlin beantragte der Kläger die Ausstellung eines Reiseausweises nach dem Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeseinwohneramtes Berlin vom 19. August 1987 zurückgewiesen, weil der Kläger als palästinensischer.Volkszugehöriger eine ungeklärte Staatsangehörigkeit habe. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid des Senators für Inneres vom 1. Dezember 1987 (zu 2.) aus den Gründen des angefochtenen Bescheides zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 3. Dezember 1987 an das Landeseinwohneramt Berlin beantragte der Kläger darüber hinaus einen Reiseausweis nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge. Zur Begrühdung wies er darauf hin, daß in der Bundesrepublik Deutschland und ln Berlin (West) lebende staatenlose Palästinenser aus dem Libanon nicht mehr den Schutz des UNRWA genießen könnten, weil diese Organisation hier nicht tätig sei. Mit Bescheid vom 10. Dezember 1987 wies das Landeseinwohneramt Berlin auch diesen Antrag zurück und verwies zur Begründung auf den Ablehnungsbescheid hinsichtlich des Reiseausweises nach dem Staatenlosen-Übereinkommen. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid des Senators für Inneres vom 22. März,1988 (zu 3.) aus den Gründen des Ausgangsbescheides zurückgewiesen. Seit dem 10. Dezember 1987 verfügt der Kläger über einen bundesdeutschen Fremdenpaß sowie über eine Aufenthaltserlaubnis nach der damaligen "Altfall-Regelung" des Berliner Senators für Inneres.

Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren auf Ausstellung eines Flüchtlingsausweises, hilfsweise eines Staatenlosenausweises, weiter. Er beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landeseinwohneramtes Berlin vom 10. Dezember 1987 und des Widerspruchsbescheides des Senators für Inneres vom 22. März 1988 zu Ziffer 3 zu verpflichten, dem Kläger einen Reiseausweis gemäß Artikel 28 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge auszustellen, hilfsweise, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landeseinwohneramtes Berlin vom 19. August 1987 und des Widerspruchsbescheides des Senators für Inneres vom 1. Dezember 1987 zu Ziffer 2 zu verpflichten, dem Kläger einen Reiseausweis gemäß Artikel 28 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen auszustellen, sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten für die Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf die angefochtenen Bescheide.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Streitakte, die Verwaltungsstreitakte VG 20 A 95.82, den den Kläger.betreffenden Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie drei Auskünfte des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen - Amt des Vertreters in der Bundesrepublik Deutschland - vom 4. Juni 1984 (100/FRG/PAL-84/2059), 6. Dezember 1984 (100.FRG.PAL/A - 84/4954) und vom 16. Mai 1989 (100.PAL-89/1689-PS/du), die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist hinsichtlich des Hauptantrages auf Ausstellung eines Reiseausweises nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention - GK -) vom 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953, 559; 1954, 619) zulässig. Selbst wenn der Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises zugleich dahingehend verstanden werden würde, daß der Kläger mangels eines anderweitigen förmlichen Verfahrens in der Genfer Kovention die Anerkennung als Konventionsflüchtling begehrt, so würde auch dann der Prüfung des Begehrens nicht die im Jahre 1986 rechtskräftig gewordene Ablehnung des Asylantrages des Klägers entgegenstehen (§ 121 VwGO). Zwar heißt es in § 18 AsylVfG, daß die Entscheidung des Bundesamtes im Asylverfahren in allen Angelegenheiten verbindlich ist, in denen die Anerkennung rechtserheblich ist. Dies gilt trotz des unklaren Gesetzeswortlautes eindeutig auch für ablehnende Entscheidungen (Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Rdnr. 23 zu § 18). Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. November 1986 (InfAuslR 1987, 56) ist jedoch nicht mehr zweifelhaft, daß nicht alle Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention unter den Kreis der Asylberechtigten nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG fallen. Denn anders als unter der Geltung des § 28 Nr. 1 Ausländergesetz a.F. ist seit Inkrafttreten des Asylverfphrensgesetzes.im August 1982 Gegenstand der Prüfung im Asylverfahren nicht mehr die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 1 GK. so daß beispielsweise in Fällen der sogenannten anderweitigen Sicherheit, vor Verfolgung (§ 2 AsylVfG) zwar die Asylberechtigung im Sinne des Grundgesetzes ausscheidet, nicht jedoch die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Konvention. Da des Asylbegehren des Klägers erst nach Inkrafttreten des Asylverfahrensgesetzes rechtskräftig abgelehnt wurde, scheitert somit die Prüfung des vorliegenden Begehrens jedenfalls nicht bereits an der vollständigen Übereinstimmung des Streitgegenstandes, soweit diese nicht ohnehin wegen des auf Ausstellung des Reiseausweises lautenden Klageantrags zu verneinen ist.

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GK. Diese Vorschrift lautet:

"Die vertragschließenden Staaten werden den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Gebiet aufhalten, Reiseausweise ausstellen, die ihnen Reisen außerhalb dieses Gebietes gestatten, es sei denn, daß zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung entgegenstehen."

Wie sich aus der indikativischen Formulierung ("werden …. ausstellen") und dem Vergleich zu Art. 28 Nr. 1 Satz 2 GK ("können... ausstellen") ergibt, gewährt Art. 28 Nr. 1 Satz 2 GK bei Vorliegen der dort genannten tatbestandlichen Voraussetzungen einen Anspruch auf Ausstellung des Reiseausweises und nicht etwa nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung.

Entgegen der Auffassung des Beklagten liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 28 Nr.1 Satz 1 GK vor. Zwar ist der Kläger weder Flüchtling im Sinne des Art. 1 A Nr. GK noch im Sinne des Art. 1 A Nr. 2 GK. Letzteres folgt bereits daraus, daß eine begründete Furcht vor Verfolgung im Libanon schon im Rahmen des Asylverfahrens rechtskräftig verneint worden ist und neue oder nur nach der Genfer Konvention beachtliche Gesichtspunkte insoweit auch gar nicht vorgetragen werden. Der Kläger fällt jedoch nach Art. 1 D Abs. 2 GK unter die Bestimmungen dieses Abkommen Art. 1 D GK lautet:

"Dieses Abkommen findet keine Anwendung auf Personen, die zur Zeit den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge genießen.

Ist dieser Schutz oder diese Unterstützung aus irgendeinem Grunde weggefallen ohne daß das Schicksal dieser Personen endgültig gemäß den hierauf bezüglichen Entschließungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen geregelt worden ist, so fallen dieser Personen ipso facto unter die Bestimmungen dieses Abkommens."

Gemeinsam mit seiner Familie genoß der Kläger den Beistand des UNRWA, also einer Institution der Vereinten Nationen, was durch die vorgelegte Registrierungskarte belegt ist. Bei dieser Registrierung handelt es sich um einen Verwaltungsakt feststellender Natur, der den Zugang zu den Hilfsmaßnahmen des UNRWA eröffnet (Auskunft des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen - Amt des Vertreters in der Bundesrepublik Deutschland - vom 16. Mai 1989, Ziffer 2.). Auf alle Palästinenser, die den Beistand dieser Institution der Vereinten Nationen genießen, findet nach Art. 1 D Abs. 1 GK dieses Abkommen keine Anwendung. Hintergrund für diese Regelung war, daß Kompetenzüberschneidungen zwischen dem UNRWA und dem Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) vermieden und zum anderen das Palästinaflüchtlingsproblem.losgelöst von dem anderer Flüchtlingsgruppen behandelt werden sollte (Nicolaus/Seramo, Zu den Voraussetzungen, und der Anwendbarkeit des Artikels 1 Abschnitt D.Abs., 2 der Genfer Flüchtlingskonvention, ZAR 1989, 67,68). Außer Zweifel stand dabei.jedoch daß die von  we trauten Palästinenser, als Flüchtlinqg einzust (Nicolaus/Seramo, a.a.O.).

Der Beistand des UNRWA ist für den Kläger jedoch im Sinne von Art. 1 D Abs. 2 GK. weggefallen, ohne daß bislang das Schicksal der Palästinenser endgültig geregelt ist. Zwar ist der Kläger weiterhin von dem Hilfswerk registriert; der Beistand kann aber nicht nur aus rechtlichen, sondern auch aus tatsächlichen Gründen wegfallen, wenn die Rückkehr in den Tätigkeitsbereich der Organisation verwehrt ist (vgl. Urteile des Verwaltungsgerichts Berlin vom 19. Augsut 1988 - VG 5 A 115.86 - und vom 21. Oktober 1988 - VG 10 A 426.86 -; Urteil des Verwaltungsgericlhts Sigmaringen vom 21. Dezember 1988 - 3K 254.87 -; letztlich wohl auch VGH Mannheim, InfAuslR 1987, 191, 192 am Ende). Für die Annahme dieser Voraussetzung reicht es allerdings noch, nicht aus, daß der Kläger im Jahre 1978 freiwillig den Libanon verlassen und sich damit außerhalb des Wirkungsbereiches des UNRWA begeben hat. Denn seinerzeit hätte durchaus noch eine, Rückkehrmöglichkeit bestanden. Davon kann jedoch inzwischen nicht mehr ausgegangen werden. Nachdem das Reisedokument des Klägers bereits im Oktober 1982 abgelaufen ist und mehrere Versuche der Verlängerung seit Februar 1985 fehlgeschlagen sind und keine Anhaltspunkte mehr dafür bestehen, daß auf absehbare Zeit der Libanon sich zur Wiederaufnahme des Klägers bereitfinden könnte, ist das Fehlen einer Rückkehrmöglichkeit ausreichend belegt vgl. dazu Stellungnahme des UNHCR - Amt des Vertreters in der Bundesrepublik Deutschland - vom 6. Dezember 1984; vgl. zur fehlenden Rückkehrmöglichkeit als Wegfall der UNRWA - Betreuung insbesondere auch Nicolaus/Saramo, ZAR 1989, 67, 68 f. mit ausführlichen Erläuterungen zur Entstehungsgeschichte und zur Bedeutung der Vorschrift). Da die Verweigerung der Rückkehrmöglichkeit nicht in den Verartwortungsbereich des Klägers fällt, kann auch nicht davon gesprochen werden, er habe den Wegfall des Schutzes im Sinne des Art. 1 D Abs. 2 GK mutwillig herbeigeführt; es kann deshalb dahinstehen, ob aus einer solchen Feststellung für den Bereich der Genfer Konvention überhaupt reehtliche Folgen zu ziehen sind (so OVG Lüneburg, Urteil vom 5. Dezember 1988 - 11 OVG A 20.87-).

Ist der Schutz weggefallen, fällt der Kläger nach Art. 1 D Abs. 2 GK "ipso facto" - d.h. automatisch und ohne erneute Prüfung der Flüchtlingseigenschaft - unter die Bestimmungen des Abkommens. Insbesondere sind die Vorausset'zun gen des Art. 1 A Nr. 2 GK nicht mehr zu prüfen (vgl. Robinson, Convention Relating to the Status of Refugees, A Commentary, New York 1953, S. 63, 64; Verwaltungsgericht Sigmaringen, Urteil vom 21. Dezember 1988 - 3 K 254.87 - a.a.O. S. 7/8 der Urteilsabschrift m.w.N). Hintergrund dieser Regelung war der Wunsch der vertragschließenden Staaten, die Palästinenser als Gruppe zusammenzufassen, die der der Kontingentflüchtliche ähnelt, bei denen ebehfalls keine Einzelfallüberprüfung mehr erfolgt (vgl. Stellungnahme des UNHCR - Amt des Vertreters in der Bundesrepublik Deutschland vom 4. Juni 1984). Die entgegenstehende Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster (InfAusIR 1988, s. 236 f.), die nur formal darauf gestützt ist, daß Art. 1 D Abs. 1 GK ein Ausschlußtatbestand sei, der die Erfüllung der allgemeinen Flüchtlingsmerkmale des Art 1 A GK voraussetze, überzeugt schon deshalb nicht, weil es dann der Vorschrift des Art. 1 D Abs. 2 GK gar nicht bedürfte, sofern ohnehin die Voraussetzungen des Art. 1 A GK weiter vorlägen. Jedenfalls hätten die vertragschließenden Staaten statt der Formülierung "ipso facto" denn sicher eine andere Klausel wie etwa "bei Vorliegen der in Art. 1 A GK genannten Voraussetzungen" gewählt (vgl. Nicolaus/Seramo, a.a.O. S. 72). Art. 1 D Abs. 2 GK erweitert mithin den personellen Anwendungsbereich der Genfer Konvention gegenüber Art. 1 A GK.

Aufgrund der ihm am 10. Dezember 1987 erteilten Aufenthaltserlaubnis hält sich der Kläger zudem rechtmäßig im Gebiet des Geltungsbereiches des Ausländergesetzes auf. Damit hat er als Flüchtling nach Art.1 D Abs. 2 GK einen Anspruch auf Ausstellung des Reiseausweise nach Art. 28 Nr. 1 Satz 1 GK.

Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Vorschrift, die der Ausstellung entgegenstehen würden, sind nicht ersichtlich. Auch andere Ausschlußgründe im Sinne von Art. 1 E und F GK liegen erkennbar nicht vor.

Wenn somit ein Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises nach der Genfer Flüchtlingskonvention begründet ist, so erübrigt sich eine Entscheidung über den lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises nach dem Staatenlosen-Übereinkommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das dem Hauptbegehren vorangegangene Vorverfahren ergibt sich aus § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten bezüglich des - im Klageverfahren nur hilfsweise verfolgten - Begehrens auf Ausstellung eines Reiseausweises nach dem Staatenlosen-Übereinkommen konnte jedenfalls deshalb nicht ausgesprochen werden, weil der Kläger nicht gleichzeitig die Ausstellung von zwei verschiedenen Reiseausweisen begehren kann und somit von vornherein mit einem seiner beiden Anträge unterliegen mußte.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil ist die Berufung zulässig.

Die Berufung ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Hardenbergstraße 21, 1000 Berlin 12, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Frist für die Einlegung der Berufung endet einen. Monat nach Zustellung dieses Urteils. Die Berufungsschrift muß das angefochtene Urteil bezeichnen und einen bestimmten Antrag enthalten.

Laudemann

Schrage

MacLean

 

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