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X gegen den Bescheid des Bundesministers

Publisher Germany: Verwaltungsgericht
Publication Date 21 September 1988
Citation / Document Symbol Zl. 88/01/0144
Cite as X gegen den Bescheid des Bundesministers, Zl. 88/01/0144, Germany: Verwaltungsgericht, 21 September 1988, available at: https://www.refworld.org/cases,DEU_VERWALT2,3ae6b7064.html [accessed 27 May 2023]
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IM NAMEN DER REPUBLIK!

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde des X

gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. April 1988, Zl. 211.893/9-II/6/88, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer - ein Staatsangehöriger von Sri Lanka - ist am 30. Juli 1985 mit seinem am 30. April 1985 in Colombo ausgestellten Reisedokument über Indien (Bombay) und Singapur, wo er bei der österreichischen Vertretungsbehörde einen Sichtvermerk erhalten hatte, legal in das Bundesgebiet eingereist. In der Folge versuchte er über Vorarlberg illegal in die Bundesrepublik Deutschland zu gelangen. Da dies mißlang, stellte er am 13. August 1985 Asylantrag. Bei seiner ersten Befragung am 20. August 1985 vor der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch führte der Beschwerdeführer zur Begründung seines Antrages aus, in seinem Heimatland herrsche derzeit eine bürgerkriegsartige Auseinandersetzung. Es bestünden Armeekämpfe zwischen der singhalesischen Regierung und den sogenannten Termiten. Die singhalesische Bevölkerung mache ca. 70 % aus, sodaß die Tamilen ständig unterdrückt und verfolgt würden. Persönlich hätte er jedoch bislang keine direkten Schwierigkeiten mit der Regierung gehabt. Die Unterdrückung zeige sich auch in der Öffentlichkeit, so sei der Beschwerdeführer vor ca. einem Jahr, als er auf einen Autobus gewartet hätte, von einem Armeefahrzeug grundlos angefahren worden. Es würden auch laufend willkürlich verschiedene Personen verhaftet. Die Verhafteten würden zum Teil nach einiger Zeit wieder freigelassen, andere wiederum würden getötet bzw. verbrannt werden. Nachdem der Beschwerdeführer in das Flüchtlingslager Traiskirchen überstellt worden war, wurde er am 20. August 1985 abermals zu seinem Antrag einvernommen. Dabei führte er im wesentlichen gleichlautend wie bisher aus und ergänzte sein Vorbringen: Der Fluchtgrund liege eigentlich in der allgemeinen Verfolgung der Tamilen in Sri Lanka. Sein Haus sei abgebrannt worden. Dies sei ein rassistischer Haß, der in seiner Heimat nicht "aufzuhalten" sei. Der Präsident von Sri Lanka sei Singhalese. Schon daraus ergebe sich eine Abneigung gegen die Tamilen und die Unterdrükkung werde damit sicher besser verstanden werden. Er könne nicht mehr in seine Heimat zurück, weil zwischen den Tamilen und Singhalesen Kampf bestehe. Bei seiner Rückkehr könnte auch er in diesen Rassenkampf miteinbezogen werden und "möglicherweise dabei umkommen". Seine Familie (Frau und zwei Kinder) wolle er eventuell nach Österreich nachkommen lassen. In seiner Heimat lebten noch seine Eltern und drei Schwestern. Obwohl er von den Tamilen stamme, habe er einen Reisepaß bekommen. Er habe dafür viel Geld bezahlen müssen. Laut Protokoll wurde sodann die Vernehmung unterbrochen.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 4. September 1985 wurde festgestellt, daß die Voraussetzungen des Art. I Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls vom 31. Jänner 1967, BGBl. Nr. 78/1974, beim Beschwerdeführer nicht zutreffen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde die Berufung abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides wird im wesentlichen ausgeführt:

Der Beschwerdeführer habe eine Verfolgung im Sinne der Konvention nicht glaubhaft machen können. Die belangte Behörde habe genaueste Unterlagen über die Situation in Sri Lanka. Richtig sei, daß tamilische Aufständische eine Abtrennung des Nordens von Sri Lanka forderten und hiefür kämpften. Der srilankesische Staat bekämpfe diese Aufständischen. Auf beiden Seiten würde mit größter Härte gekämpft und von beiden Seiten würden im Zuge der Kampfhandlungen Menschenrechte, auch von Zivilisten, die in diese Kampfhandlungen gerieten, verletzt. Das Motiv der srilankesischen Regierung sei es indes nicht gewesen, Tamilen aus rassischen Gründen zu verfolgen, und systematische Verfolgungen von tamilischen Zivilisten habe es niemals gegeben. In diesem Zusammenhang werde ausgeführt, daß zum Zeitpunkt der Flucht des Beschwerdeführers der Innenminister Sri Lankas Tamile gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei offensichtlich in Kampfhandlungen geraten und habe sich subjektiv bedroht gefühlt. Seine Angst sei jedenfalls nicht besonders groß gewesen, da er ja seine Familie in "diesen Gebieten" zurückgelassen habe. Da die srilankesische Regierung einer Ausreise von Tamilen nichts entgegengesetzt habe, wäre es dem Beschwerdeführer durchaus möglich gewesen, mit seiner Familie nach Indien zu reisen und dort das Ende der Feindseligkeiten abzuwarten. Er habe sich vor seiner Einreise nach Österreich auch in Indien und Singapur aufgehalten und vor allem in Indien allen nötigen Schutz gehabt, da Indien zu diesem Zeitpunkt die Tamilen in Sri Lanka unterstützt habe. Da der Beschwerdeführer diesen Schutz gar nicht in Anspruch genommen habe, müsse die belangte Behörde annehmen, daß er auf Grund der Verhältnisse in seinem Heimatland nach Europa auswandern habe wollen. Der Hinweis des Beschwerdeführers in der Berufung, er sei im Mai 1985 von einem Armeefahrzeug gegen eine Wand gedrückt und verletzt worden, entspreche nicht seinen weiteren Angaben. Aus den Daten seines Reisepasses ergebe sich, daß dieser am 30. April 1985 in Colombo ausgestellt worden sei. Da der Beschwerdeführer sich zu diesem Zeitpunkt schon im Süden von Sri Lanka befunden habe und in und um Colombo gar keine Kampfhandlungen stattgefunden hätten, könne die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei im Mai 1985 in Kampfhandlungen geraten, nicht stimmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von.Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft verletzt. Weiters sei der Beschwerdeführer in seinem Recht, nach § 45 Abs. 3 AVG 1950 von Beweisaufnahmen Kenntnis zu erhalten und dazu Stellung zu nehmen, und in seinem Recht nach § 58 Abs. 2 AVG 1950 verletzt worden. Insbesondere sei der Sachverhalt nicht hinreichend erhoben und das Vorbringen des Beschwerdeführers unrichtig und unschlüssig gewürdigt worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 126, in der Fassung der Novelle vom 27. November 1974, BGBl. Nr. 796, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. I Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. I Abschnitt C oder F der Konvention vorliegt. Art. I A Punkt 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne des Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Gleiches gilt für Staatenlose, die sich infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befinden, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten und nicht dorthin zurückkehren können oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren wollen.

Der Beschwerdeführer - Angehöriger der tamilischen Minderheit - macht Verfolgung aus Gründen der Nationalität durch die Mehrheit (Singhalesen), die die Regierung im Heimatland bildet, geltend. Der Begriff Nationalität ist nicht nur im Sinne der Staatsangehörigkeit zu verstehen, sondern er bezieht sich auf die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe.

Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren und den knappen Feststellungen der belangten Behörde steht fest, daß das Nebeneinander von zwei ethnischen Volksgruppen innerhalb der Grenzen des Heimatstaates des Beschwerdeführers eine Konfliktsituation geschaffen hat, die zu Kampfhandlungen zwischen den Regierungstruppen und der tamilischen Volksgruppe - einen bürgerkriegsähnlichen Zustand - im Zeitpunkt der Flucht des Beschwerdeführers geführt hat. Eine solche Situation birgt die Gefahr der Verfolgung in sich. Der Beschwerdeführer hat auch vorgebracht - dies wurde von der belangten Behörde nicht gewürdigt -, daß durch die Regierungstruppen laufend willkürlich Angehörige der Volksgruppe der der Beschwerdeführer angehört, verhaftet und diese Verhafteten in der Folge zum Teil getötet werden oder verschwinden und daß sein Haus abgebrannt worden sei, was darauf hindeutet, daß die Regierung nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, die Tamilen vor Übergriffen zu schützen und ihnen somit den Schutz vor Verfolgung zu gewähren. Aus der Tatsache, daß der Innenminister im Zeitpunkt der Flucht des Beschwerdeführers Tamile gewesen sei, kann nicht der Schluß gezogen werden, eine Verfolgung der tamilischen Minderheit sei nie erfolgt.

Die belangte Behörde vertritt in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ansicht, die Angst vor Verfolgung könne beim Beschwerdeführer nicht sehr groß gewesen sein, weil er seine Familie (Frau und zwei Kinder) zurückgelassen habe. Um zu einem solchen Ergebnis gelangen zu können, nämlich daß keine wohlbegründete Furcht vorliege, hätte die belangte Behörde den Beschwerdeführer über die konkreten Umstände im Zeitpunkt seiner Ausreise aus seinem Heimatstaat vernehmen müssen, dies umsomehr, als die Vernehmung des Beschwerdeführers am 28. August 1985 laut Protokoll unterbrochen und nicht mehr fortgesetzt. worden ist. Nach den Beschwerdeausführungen sei die zurückgebliebene Familie des Beschwerdeführers bereits nach Indien ausgereist.

Der Beschwerdeführer hat bei seiner ersten Einvernahme am 20. August 1985 vor der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch ausgeführt, vor ca. einem Jahr sei er von einem Armeefahrzeug grundlos angefahren worden; in der Berufung brachte er nach Darlegung von Verfolgungsmaßnahmen gegen die Minderheit und der Niederbrennung seines Hauses vor, jener Vorfall habe sich "im Mai dieses Jahres" ereignet. Welches Jahr damit gemeint ist, ist nicht erkennbar. Wenn die belangte Behörde gegen die zeitliche Zuordnung dieses Vorfalles Bedenken gehabt hat, hätte sie den Beschwerdeführer dazu befragen müssen. Sie durfte aber nicht ohne weitere Erhebungen dieses Vorbringen als unglaubwürdig werten.

Da der Sachverhalt ergänzungsbedürftig geblieben ist und die Begründung des ängefochtenen Bescheides wesentliche Mängel aufweist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c V w GG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

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