Last Updated: Friday, 19 May 2023, 07:24 GMT

A gegen BMI, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft

Publisher Germany: Verwaltungsgericht
Publication Date 29 January 1986
Citation / Document Symbol Zl. 84/01/0106
Cite as A gegen BMI, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Zl. 84/01/0106, Germany: Verwaltungsgericht, 29 January 1986, available at: https://www.refworld.org/cases,DEU_VERWALT2,3ae6b7000.html [accessed 22 May 2023]
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A gegen BMI, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft.

Der Bf, der väterlicherseits palästinensischer Abstammung und Inhaber eines libanesischen Reisedokumentes für Palästinaflüchtlinge ist, reiste am 13.12. 1982 aus Ungarn kommend legal in das Bundesgebiet ein. Er stellte am 16. 12.1982 einen Asylantrag.

Mit Bescheid vom 1. 6. 1983 stellte die SDion für Wien gemäß § 1 des BG, BGBl 1968/126 idF des BG BGBl 1974/796 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen iS der Konvention über die Rechtstellung der Flüchtlinge, BGBl 1955/55 (FIKonv), fest, daß der Bf nicht Flüchtling und daher gemäß § 7 Abs 1 leg cit nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei. Zur Begründung führte die Beh aus, der Bf habe im Überprüfungsverfahren nicht glaubhaft dargetan, daß er in seinem Heimatstaat (Land des gewöhnlichen Aufenthaltes) aus einem der im Art 1 Abschnitt A Z 2 FIKonv angeführten Grund Verfolgung erlitten habe oder eine solche befürchten müsse. Der Hochkommissar der UN für Flüchtlinge habe die Entscheidung zur Kenntnis genommen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Bf mit der Begründung Berufung, die Beh habe es unterlassen, Feststellungen über die Umstände, aus denen er genötigt gewesen sei, den Libanon zu verlassen, zu treffen. Aus den der Berufung beigelegten Unterlagen sei ersichtlich, daß nach dem erzwungenen Abzug der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) aus dem Libanon im September 1982 die zurückgebliebenen palästinensischen Zivilisten schutzlos den Übergriffen der christlichen Milizen und Falangisten ausgesetzt gewesen seien. Jeder aufgegriffene Palästinenser habe mit seinem sofortigen Tod rechnen müssen. Sowohl Beschir Gemayel als auch sein Nachfolger und Bruder Amin Gemayel hätten die Meinung vertreten, daß alle Fremden einschließlich der Palästinenser vertrieben werden sollten. Die Palästinenser seien als "Krebsgeschwüre" bezeichnet worden und die Libanesen hätten es allgemein "bedauert", daß nur die PLO-Kämpfer Beirut verlassen hätten müssen, nicht aber auch die Zivilisten. Für den Fall des gänzlichen Abzuges der PLO-Kämpfer seien bereits Massengräber für die zurückbleibende palästinensische Zivilbevölkerung angelegt worden. Schon im August 1982 hätten christliche Milizen unter den palästinesischen Zivilisten Blutbäder angerichtet. Im Palästinenserlager M seien Frauen und Greise von christlichen "Schlägerkolonnen" mit Eisenstangen zusammengeschlagen worden. Die von den christlichen Milizen im September 1982 in den Lagern Sabra und Schatila an den Palästinensern begangenen Greueltaten könnten als bekannt vorausgesetzt werden. Auch seien sogar radikal-militante Palästinensergruppen (Georges-Habasch-Gruppe) im Südosten von Beirut von Schiitenmilizen daran gehindert worden, in ihre Lager zurückzukehren. Für Präsident Gemayel und die christlichen Milizen sei festgestanden, daß alle Palästinenser das Land verlassen müßten. Der Terror der christlichen Milizen habe voll auf die palästinensischen Zivilisten übergegriffen, wobei diese Milizen alle Mittel ergriffen hätten, um so viele Palästinenser wie möglich aus dem Land zu treiben. Der libanesische Terror gegen die Zivilisten habe sich mit dem fortschreitenden Abzug der PLO-Kämpfer verschärft und nur dadurch, daß sich der Bf versteckt gehalten habe, sei es ihm gelungen, den Greueltaten der Milizen zu entgehen. Demgegenüber beruhe der Schluß der Beh, der Bf sei im Land seines gewöhnlichen Aufenthaltes keiner seiner Anerkennung als Flüchtling rechtfertigenden Verfolgung ausgesetzt gewesen, auf einer unrichtigen Beweiswürdigung. Wenn auch seine Ausreise als Tourist aus dem Libanon harmlos erscheine, so habe er doch auf seinen Wegen zur ungarischen Botschaft, wo er ein Einreisvisum zu beantragen gehabt habe, und in der Folge auf dem Weg zu- Flughafen Beirut damit rechnen müssen, von christlichen Milizen angehalten und erschlagen oder erschossen zu werden. Seine Ausreise stelle sich daher als Flucht unter besonders gefährlichen Verhältnissen dar.

Mit dem nun vor dem VwGH angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.

Erkenntnis: Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrens vorschriften.

Aus den Entscheidungsgründen:

Gemäß § 1 BG BGBl 1968/126 idF der Nov BGBl 1974/796 ist ein Fremder Flüchtling iS dieses BG, wenn nach den Bestimmungen dieses BG festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art 1 Abschnitt A FIKonv BGBl 1955/55 unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 1974/78, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art 1 Abschnitt C oder F der Konvention vorliegt. Art 1 A Punkt 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling iS des Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Gleiches gilt für Staatenlose, die sich infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befinden, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten und nicht dorthin zurückkehren können oder wegen der erwähnten Befürchtung nicht dorthin zurückkehren wollen.

Die bel Beh hat richtig ausgeführt, daß aus dem Besitz eines libanesischen Reisepasses für Palästinaflüchtlinge nicht die libanesische Staatsbürgerschaft des Bf abgeleitet werden kann. Sie hat aber andererseits in der Begründung des bekämpften Bescheides ausgeführt, daß der Bf "wie jeder andere Libanese" gefährdet sei. Eine derartige Gleichstellung des Bf hinsichtlich seiner Gefährdung im Libanon erscheint aber wegen seiner ungeklärten Staatsbürgerschaft und seiner väterlicherseits palästinensischen Abstammung durch das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens und aufgrund der allgemein bekannten Vorfälle in den Palästinenserlagern im Libanon nicht gedeckt.

Nach den Ausführungen der bel Beh können weder die Kampfhandlungen und Übergriffe der israelischen Truppen im Libanon noch die Ausschreitungen von Privatmilizen im Libanon als Verfolgung iS der FlKonv angesehen werden. Demgegenüber ergibt sich, daß im Zeitpunkt der Flucht des Bi der libanesische Staat die von verschiedensten Gruppen ausgeübte Verfolgung der palästinensischen Zivilisten nicht verhindert hat und nicht in der Lage war, diese zu verhindern. Auch die vom Bf ins Treffen geführten Äußerungen libanesischer Politiker, die Anwesenheit palästinensischer Zivilisten im Libanon sei nicht erwünscht, können nicht ohne weiteres - wie dies die bel Beh getan hat - als nicht geeignet angesehen werden, beim Bf begründete Furcht vor Verfolgung zu bewirken. Ebenso kann der Hinweis in der Begründung des angefochtenen Bescheides, daß der Bf, da er nicht Mitglied einer politischen oder militanten Organisation gewesen sei, keiner Verfolgung iS der Konvention durch die Beh seines seinerzeitigen Aufenthaltsstaates ausgesetzt sei, in diesem Zusammenhang und im Hinblick auf die Ereignisse in Palästinenserlagern nicht als schlüssig angesehen werden.

Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes konnte somit die bel Beh ohne Durchführung weiterer Ermittlungen über das Vorbringen des Bf nicht zu Recht davon ausgehen, dieser wäre nicht Verfolgungen iS der Konvention ausgesetzt gewesen bzw befinde sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes.

Da sohin nicht auszuschließen ist, daß die bel Beh bei entsprechender Würdigung des Vorbringens des Bf und bei Ergänzung des Ermittlungsverfahrens zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochlene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 43 Abs 2 Z 3 lit b und c VwGG der Aufhebung verfallen.

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