Urteil des Kassationshofes vom 27. April 1990 i.S. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement gegen K. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Publisher | Switzerland: Federal Court |
Author | Federal Court |
Publication Date | 20 May 1992 |
Citation / Document Symbol | BGE 118 IV 221 |
Cite as | Urteil des Kassationshofes vom 27. April 1990 i.S. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement gegen K. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde), BGE 118 IV 221, Switzerland: Federal Court, 20 May 1992, available at: https://www.refworld.org/cases,CHE_FC,3ae6b63e1c.html [accessed 27 May 2023] |
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Auszug aus dem Urteil des Kassationshofs vom 20. Mai 1992 i.S. S. gegen Regierung des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
[Facts]
A.- S. ist polnischer Staatsangehöriger und in der Schweiz seit dem 22. April 1982 anerkannter Flüchtling. Er wurde mit Urteil des Kreisgerichts Belfort vom 22. Februar 1989 wegen Verletzung von Strassenverkehrsregeln zu drei Monaten Gefängnis und fünf Jahren Landesverweisung verurteilt. Mit Verfügung vom 22. Februar 1991 ordnete das Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement Graubünden, nachdem eine entsprechende frühere Verfügung in Wiedererwägung gezogen worden war, die Vollstreckung der rechtskräftigen Landesverweisung gemäss Art. 55 StGB an. Eine dagegen eingereichte Beschwerde wies die Regierung des Kantons Graubünden am 17. Juni 1991 ab; S. wurde angewiesen, die Schweiz bis spätestens 19. Juli 1991, 24.00 Uhr, zu verlassen, widrigenfalls er zwangsweise nach Polen ausgeschafft werde. Gegen diesen Beschwerdeentscheid führt S. Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht, mit der er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben; eventuell sei die Eingabe als staatsrechtliche Beschwerde zu betrachten und mit der nämlichen Konsequenz gutzuheissen. Mit Verfügung vom 24. Juli 1991 erteilte der Präsident des Kassationshofes der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufschiebende Wirkung. Die Regierung des Kantons Graubünden beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement schloss sich in seiner Vernehmlassung dem Antrag der Regierung des Kantons Graubünden an. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.Aus den Erwägungen:
[Consideration 1]
1. -Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob es auf eine bei ihm eingereichte Beschwerde eintritt (BGE 117 Ia 2 und 85 mit Hinweisen). Die staatsrechtliche Beschwerde ist gemäss Art. 84 Abs. 2 OG nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer anderen Behörde hätte gerügt werden können, so dass zunächst geprüft werden muss, ob die Verwaltungsgerichtsbeschwerde offensteht (BGE 114 Ia 309 E. 1b).
a)Gemäss Art. 97 OG i.V.m. Art. 5 VwVG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder hätten stützen sollen (BGE 112 Ib 165 E. 1, 237 E. 2a mit Hinweisen), sofern diese von den in Art. 98 OG genannten Vorinstanzen erlassen worden sind und keiner der in Art. 99 bis 102 OG oder in der Spezialgesetzgebung vorgesehenen Ausschlussgründe gegeben ist. Danach kann gegen letzte kantonale Entscheide betreffend den Strafvollzug, einschliesslich die gerichtliche Landesverweisung gemäss Art. 55 StGB als Nebenstrafe, Verwaltungsgerichtsbeschwerde geführt werden ( Art. 98 lit. g und Art. 100 lit. f (e contrario) OG; vgl. auch Art. 7 Ziff. 3 des Reglements für das Schweizerische Bundesgericht; BGE 116 IV 108 E. 1 und 106 IV 332 ). Die Bestimmung von Art. 55 StGB bildet die Grundlage der strafrechtlichen Landesverweisung auch eines Flüchtlings (BGE 116 IV 111 E. bb; KÄLIN, Grundriss des Asylverfahrens, S. 163). Gemäss Art. 101 lit. c OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde jedoch ausgeschlossen gegen Verfügungen über die Vollstreckung von Verfügungen.
b)Eine Verfügung, welche auf einer rechtskräftigen früheren Verfügung beruht und diese lediglich vollzieht, stellt, soweit den Parteien keine neuen Rechte oder Pflichten auferlegt werden und die Rechtsstellung der Betroffenen nicht mehr verändert wird, eine Vollstreckungsverfügung im Sinne von Art. 101 lit. c OG dar (BGE 97 I 606 E. 1; vgl. auch Art. 5 Abs. 2 und Art. 41 Abs. 1 lit. a und b VwVG; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 139/40, SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, Bern 1979, S. 142).
Die Regelung der Art und Weise des Vollzuges, wie beispielsweise die Festlegung der Vollzugsdaten bei der Vollstreckung des Führerausweisentzuges, ändert die Rechtsstellung des Betroffenen nicht (vgl. Meinungsaustausch zwischen dem Bundesrat und dem Kassationshof des Bundesgerichts vom 26. September 1990; BGE i.S. G. vom 2. April 1987 in SJ 1987, S. 524). Insoweit ist eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen eine Verfügung über die Vollstreckung einer Landesverweisung nach Art. 55 StGB unzulässig und lediglich die staatsrechtliche Beschwerde gegeben, mit der nur die Verfassungswidrigkeit der Vollstreckungsverfügung selber gerügt werden kann (vgl. BGE 116 IV 116 E. h, wo im Hinblick auf die Anforderungen von Art. 13 EMRK an ein Vollstreckungsverfahren ausgeführt wurde, jedenfalls stehe die staatsrechtliche Beschwerde zur Verfügung).
Soweit die Frage zu prüfen ist, ob die strafrechtliche Landesverweisung mit dem Grundsatz des Non-Refoulement nach Art. 45 AsylG (SR 142.31), Art. 33 Flüchtlingskonvention ( SR 0.142.30), Art. 3 EMRK und Art. 3 UNO-Folterkonvention vereinbar ist, was gemäss BGE 116 IV 115 E. g erst in einem gesonderten Vollstreckungsverfahren zu erfolgen hat, ist hingegen eine Veränderung der Rechtsstellung des Betroffenen durch die behördliche Anordnung zu bejahen. Ist der Vollzug der Landesverweisung als mit dem Refoulement-Verbot unvereinbar zu betrachten, bleibt es zwar nach wie vor bei der ausgesprochenen Landesverweisung, der des Landes Verwiesene kann jedoch unter Umständen, wenn nicht in den Verfolgerstaat, so doch in einen Drittstaat ausgewiesen werden, oder, wenn letzteres nicht möglich ist, weiterhin in der Schweiz verweilen, wobei sich sein Aufenthaltsrecht je nach seinem asylrechtlichen oder fremdenpolizeilichen Status richtet.
c)In diesem beschränkten Sinne ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten, da auch die übrigen Voraussetzungen hiezu erfüllt sind.
[Consideration 2]
2. -Der Beschwerdeführer ist anerkannter Flüchtling. Es ist unbestritten, dass gegen ihn trotz dieser Rechtsstellung die Landesverweisung gemäss Art. 55 StGB - unter Beachtung der asylrechtlichen Ausweisungsbeschränkung gemäss Art. 32 Ziff. 1 Flüchtlingskonvention und Art. 44 Abs. 1 AsylG - ausgesprochen werden konnte (BGE 116 IV 105 ). Ausser Frage steht ferner, dass der zuständige Strafrichter die Landesverweisung rechtskräftig verfügte. Ob die asylrechtliche Einschränkung Beachtung fand und ob sie relevant gewesen wäre oder nicht, muss dahingestellt bleiben, da dies heute nicht mehr geprüft werden kann, wie auch der Beschwerdeführer anerkennt.
a)Gemäss Art. 44 Abs. 2 AsylG erlischt mit dem Vollzug der gerichtlichen Landesverweisung das Asyl. Hiezu bedarf es entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht eines Widerrufsentscheides des Bundesamtes für Flüchtlingswesen (BFF). Dieses wurde bei der Revision des Asylgesetzes vom 22. Juni 1990 ausdrücklich nur für den eigentlichen Widerruf des Asyls gemäss Art. 41 und für den Entscheid über das Erlöschen des Asyls bei Wohnsitzverlegung ins Ausland nach Art. 42 AsylG zuständig erklärt, was zwecks Klärung der Rechtslage hinsichtlich der Zuständigkeit für die Beendigung des Asyls durch den Vollzug der Ausweisung oder der gerichtlichen Landesverweisung erfolgte (Botschaft des Bundesrates zum Bundesbeschluss über das Asylverfahren (AVB) und zu einem Bundesgesetz über die Schaffung eines Bundesamtes für Flüchtlinge vom 25. April 1990, BBl 1990 II 659; KÄLIN, a.a.O.; ACHERMANN/HAUSAMMANN, Handbuch des Asylrechts, 2. Aufl., S. 198).
Das Asyl erlöscht bereits mit der Feststellung der zuständigen Vollzugsbehörde, dass die strafrechtliche Landesverweisung, abgesehen von der Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Non-Refoulement-Grundsatz, vollstreckbar ist. Von einem Widerruf des Asyls kann dabei nicht gesprochen werden. Die zuständige Strafvollzugsbehörde hat nicht zu prüfen, ob die Gründe für einen Asylwiderruf gemäss Art. 41 AsylG gegeben sind oder nicht. Ihre Feststellung der grundsätzlichen Vollstreckbarkeit der strafrechtlichen Landesverweisung führt vielmehr von Gesetzes wegen ( Art. 44 Abs. 2 AsylG) dazu, dass das gewährte Asyl mit dem Vollzug erlischt. Das Gesetz sieht einerseits Gründe vor, bei denen die Asylbehörden das Asyl widerrufen können ( Art. 41 und 42 AsylG) und solche, die ein Erlöschen des Asylrechts von Gesetzes wegen zur Folge haben ( Art. 44 Abs. 2 AsylG).
b)Der Beschwerdeführer bestreitet die grundsätzliche Vollstreckbarkeit der strafrechtlichen Landesverweisung und auch das aus dem Vollzug folgende Erlöschen des Asyls ausdrücklich nicht. Er ist hingegen der Auffassung, solange seine Flüchtlingseigenschaft nicht ausdrücklich von der zuständigen Behörde aberkannt worden sei, dürfe er nicht in sein Heimatland Polen zurückgeschickt werden. Wenn bei einem formell anerkannten Flüchtling die materielle Flüchtlingseigenschaft nicht mehr bestehen sollte, sei in einem speziell dafür vorgesehenen Verfahren ( Art. 41 AsylG) diese Tatsache abzuklären und die Diskrepanz zu beseitigen. Dies sei denn auch der Sinn von Art. 25 AsylG.
c)Nach Art. 25 AsylG gilt der Ausländer, dem die Schweiz Asyl gewährt hat oder der als Flüchtling vorläufig aufgenommen wurde, gegenüber allen eidgenössischen und kantonalen Behörden als Flüchtling im Sinne des Gesetzes sowie des internationalen Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (SR 0.142.30).
Wie weit die Strafbehörden über die Flüchtlingseigenschaft des Betroffenen entscheiden dürfen, richtet sich nach den allgemeinen Voraussetzungen zur Prüfung von Vorfragen (BGE 116 IV 111 ). Nach schweizerischer Rechtsauffassung sind Gerichte und Behörden befugt, vorfrageweise auch Rechtsfragen aus einem anderen Rechtsgebiet zu prüfen, sofern ihnen diese Prüfung nicht durch eine gesetzliche Bestimmung verboten ist und soweit darüber die hiefür zuständige Behörde im konkreten Fall noch keinen rechtskräftigen Entscheid getroffen hat (BGE 105 II 311 E. 2 und 102 Ib 639 je mit Hinweisen). Wurde die Flüchtlingseigenschaft des Betroffenen in einem positiven Asylentscheid rechtskräftig bejaht, so ist der Strafrichter danach bei der Aussprechung der Landesverweisung und der Anwendung der dabei zu berücksichtigenden Art. 32 Ziff. 1 Flüchtlingsabkommen und Art. 44 Abs. 1 AsylG sowie bei der Frage einer Bestrafung wegen illegaler Einreise im Hinblick auf Art. 31 Ziff. 1 des Flüchtlingsabkommens an den Asylentscheid gebunden (BGE 116 IV 111/2 und 112 IV 119 ). Die gleiche Bindung besteht im Auslieferungsverfahren (BGE 115 V 6/7).
Geht es demgegenüber, wie im zu beurteilenden Fall, um die Anwendung des Non-Refoulement-Prinzips nach Art. 45 Abs. 1 AsylG und Art. 33 Ziff. 1 der Flüchtlingskonvention bei der Vollstreckung der strafrechtlichen Landesverweisung, ist eine solche Bindung zu verneinen. Da die gerichtliche Landesverweisung grundsätzlich vollstreckbar ist, erlischt das Asyl und verliert der Betroffene somit seine formelle Flüchtlingseigenschaft (E. 2a; vgl. ferner KÄLIN, a.a.O., S. 30). Der Grund für die Bindung aller übrigen eidgenössischen und kantonalen Behörden an den Entscheid der Asylbehörden liegt in der formellen Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch Asylgewährung oder vorläufige Aufnahme (KÄLIN, a.a.O., S. 31). Fällt diese durch Erlöschen des Asyls und mangels einer vorläufigen Aufnahme dahin, liegt auch kein rechtskräftiger Entscheid der Asylbehörden mehr vor, an den die Strafvollzugsbehörde gebunden sein könnte. Aufgrund der Bestimmung von Art. 44 Abs. 2 AsylG, wonach das Asyl von Gesetzes wegen erlischt, befindet sich die für die Vollstreckung der strafrechtlichen Landesverweisung zuständige Behörde in einer anderen Lage als der Strafrichter bei der Aussprechung der Landesverweisung oder die für die Auslieferung zuständige Instanz. Anders verhält es sich nur, wenn die zuständige Asylbehörde z.B. trotz Abweisung oder Widerruf des Asylgesuchs die Flüchtlingseigenschaft des Betroffenen bejahte, indem sie gestützt auf Art. 45 AsylG die Zumutbarkeit der Wegweisung verneinte und eine vorläufige Aufnahme anordnete ( Art. 16b Abs. 2 AsylG). Nur unter solchen Voraussetzungen liegt ein für alle übrigen Behörden verbindlicher Entscheid der Asylbehörde über die formelle Flüchtlingseigenschaft vor (so auch KÄLIN, Das schwierige Verhältnis zwischen Asylverfahren und gerichtlicher Landesverweisung: Eine Entgegnung, Asyl 1988/2, S. 7).
d)Im Falle des Beschwerdeführers liegt, nachdem das gewährte Asyl mit dem Vollzug von Gesetzes wegen als erloschen zu betrachten ist, kein Entscheid der Asylbehörden vor, der sich über eine formelle Anerkennung von dessen Flüchtlingseigenschaft aussprechen würde. Vielmehr stellte sich das Bundesamt für Flüchtlingswesen unbestrittenermassen auf den Standpunkt, es sei Sache der bündnerischen Strafvollzugsinstanz, im Rahmen von Art. 45 Abs. 1 AsylG über die Vollstreckbarkeit der gerichtlichen Landesverweisung zu entscheiden. Die Vorinstanz verletzte daher weder Art. 25 AsylG noch die Grundsätze der Zuständigkeit zur Prüfung von Vorfragen, wenn sie die materielle Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers und damit die Voraussetzungen des Refoulement-Verbots von Art. 45 Abs. 1 AsylG und Art. 33 Ziff. 1 Flüchtlingskonvention verneinte.
Daran ändert die im Gutachten vom 2. August 1991 dargelegte Auffassung des UNO-Hochkommissariates für Flüchtlinge nichts. Die Empfehlung des Exekutiv-Komitees für das Programm des hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen Nr. 8 betreffend die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (lit. e/iii), nach der die Zuständigkeit möglichst einer einzigen zentralen Behörde gegeben sein sollte, bezieht sich ausdrücklich nur auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und nicht auf deren Überprüfung. Überdies handelt es sich dabei um eine blosse Empfehlung.