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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.7.1991 - BVerwG 9 C 154.90

Publisher Germany: Bundesverwaltungsgericht
Publication Date 23 July 1991
Citation / Document Symbol BVerwG 9 C 154.90
Cite as Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.7.1991 - BVerwG 9 C 154.90, BVerwG 9 C 154.90, Germany: Bundesverwaltungsgericht, 23 July 1991, available at: https://www.refworld.org/cases,DEU_BUNDESVERWALT,3ae6b7300.html [accessed 22 May 2023]
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Bundesverwaltungsgericht

Urteil vom 23.7.1991 - BVerwG 9 C 154.90

Leitsätze des Gerichts:

1.         Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur möglichen Asylrelevanz von Gefährdungslagen im »Übergangsbereich zwischen anlaßgeprägter Einzelverfolgung und gruppengerichteter Kollektivverfolgung« (vgl. Beschluß vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85, 515/89, 1827/89 - EuGRZ 1991, 109 = InfAusIR 1991, 200) ist nicht dahin zu verstehen, daß neben die bisherigen Formen der Einzel- und Gruppenverfolgung eine dritte Kategorie asylerheblicher Verfolgungsbetroffenheit treten soll.

2.         »Referenzfälle« politischer Verfolgung sowie ein »Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung« (vgl. BVerfG, Beschluß vom 23. Januar 1991 a.a.0.) sind gewichtige Indizien für eine gegenwärtige Gefahr politischer Verfolgung. Sie können in einem Asylbewerber begründete Verfolgungsfurcht entstehen lassen, so daß es ihm nicht zuzumuten ist, in seinem Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (in Fortführung der st. Rspr., vgl. u. a. Urteil vom 23. Februar 1988 - BVerwG 9 C 32.87 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 80).

3.         Wann eine, Verfolgungsfurcht als begründet und asylrechtlich beachtlich anzusehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung (wie Urteil vom 23. Februar 1988 a.a.0.). Die für eine Verfolgung sprechenden Umstände müssen jedoch nach ihrer Intensität und Häufigkeit von einem solchen Gewicht sein, daß sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Asylbewerber die begründete Furcht ableiten läßt, selbst ein Opfer solcher Verfolgungsmaßnahmen zu werden.

Sachverhalt: Der im Jahre 1960 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und jezidischen Glaubens. Er verließ im November 1985 seine Heimat und reiste in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter. Nach Ablehnung seines Asylgesuches durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wurde dieses mit Urteil des Verwaltungsgerichts im Oktober 1988 verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei von einer dem türkischen Staat zurechenbaren Gruppenverfolgung der Jeziden in der Südosttürkei durch die moslemische Bevölkerungseinheit auszugehen. Die Berufung des Bundesbeauftragten wurde am 17.5.1990 durch den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückgewiesen. Die vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene Revision des Bundesbeauftragten führte zur Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichtshofes und zur Zurückverweisung an diesen.

Aus den Gründen:

»II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).

Das Berufungsurteil beruht auf der Annahme, der Kläger habe die Türkei im Jahre 1985 wegen einer >vor 1979< erlittenen politischen Verfolgung verlassen; er sei in seiner Heimat individuellen Übergriffen von Moslems ausgesetzt gewesen, die-auch-seiner jezidischen Religionszugehörigkeit gegolten hätten und dem türkischen Staat als mittelbare Verfolgung zugerechnet werden müßten. Mit dieser Begründung kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, daß für die Beurteilung, ob ein Asylsuchender politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist, unterschiedliche Maßstäbe gelten je nachdem, ob er seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (Urteile vom 15. Mai 1990 - BVerwG 9 C 17 89 -, BVerwGE 85, 139 (140 f.) = InfAusIR 1990, 312, und vom 20. November 1990 - BVerwG 9 C 72.90 - BVerwGE 87, 141; BVerfGE 80, 315 <344> = InfAusIR 1990, 21). Ist der Asylsuchende wegen bestehender oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung ausgereist und war ihm auch ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates unzumutbar, so ist er gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG asylberechtigt, wenn die fluchtbegründenden Umstande im Zeitpunkt der Entscheidung ohne wesentliche Änderung fortbestehen. Hat der Asylsuchende seinen Heimatstaat unverfolgt verlassen, so kann sein Asylantrag nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von beachtlichen Nachfluchttatbeständen (vgl. hierzu BVerfGE 74, 51 <64 ff.> = InfAusIR 1987, 56; Urteil vom 19. Mai 1987 - BVerwG 9 C 184.86 - BVerwGE 77, 258, <260f.> = InfAusIR 1987, 228) politische Verfolgung droht.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Kläger während seiner Tätigkeit als Hirte des christlichen Klosters Mar Malke >vor 1979< mehrfach von Muslimen angegriffen und verletzt worden (UA S. 17), wobei die Übergriffe dem Berufungsgericht zufolge, >jedenfalls auch an die Zugehörigkeit des Klägers zu der Religionsgemeinschaft der Jeziden< angeknüpft haben (UA S. 19). Dieser Bewertung kann nicht gefolgt werden.

Ob eine zielgerichtete politische Verfolgung vorliegt, die Verfolgung mithin >wegen< eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen (BVerfGE 80, S. 335), wobei es auf die in der Maßnahme objektiv erkennbar werdende Anknüpfung an asylrelevante Persönlichkeitsmerkmale und nicht auf die subjektiven Motive des Verfolgenden ankommt (vgl. Urteile vom 15. Mai 1990 - BVerwG 9 C 17.89 - und vom 20. November 1990 - BVerwG 9 C 72.90 - a.a.O.).

Bei Anwendung dieses rechtlichen Maßstabs kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht davon ausgegangen werden, daß es sich bei der dem Kläger widerfahrenen Behandlung um eine - zumindest auch - an seine religiöse Überzeugung anknüpfende Verfolgung gehandelt hat. Nach dem Tatsachenvortrag des Klägers, von dessen Wahrheit das Berufungsgericht sich ausweislich seiner Urteilsgründe (UA S. 17) überzeugt hat (vgl. zu diesem Erfordernis Urteil vom 16. April 1985 - BVerwG 9 C 109.84 - BVerwGE 71, 180 = InfAusIR 1985, 244), standen die Übergriffe auf den Kläger im Zusammenhang mit dem >Raub von Vieh< des christlichen Klosters Mar Malke, dessen Hirte der Kläger war (UA S. 21). Diesem Zusammenhang sind indes keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß die moslemischen Viehdiebe bei ihrem Vorgehen die jezidische Religionszugehörigkeit des Klägers>im Blick< gehabt haben könnten. Das Berufungsgericht bejaht dies zwar mit Hinweisen auf die >Verhältnisse in Ostanatolien<, die nach seinen Feststellungen durch eine Behandlung der Jeziden als rechtlos und minderwertig geprägt sind (UA S. 20, 21) und nach seiner Auffassung die Annahme rechtfertigen, daß Übergriffe von Moslems auf Jeziden in Ostanatolien regelmäßig auch deren >religiös bedingte Mindereinschätzung im Blick haben< (UA S. 21). Eine solche Annahme setzt jedoch zwingend voraus, daß den handelnden Moslems bei ihren Übergriffen bewußt ist, daß sie es mit Angehörigen des jezidischen Glaubens ZU tun haben. Davon mag dann ohne nähere Feststellungen auszugehen sein, wenn es sich etwa um Übergriffe auf reine< Jezidendörfer, also solche Dörfer handelt, die ausschließlich von Jeziden bewohnt werden. Für eine auch nur annähernd vergleichbare Situation ist hier jedoch nichts ersichtlich. Es fehlt vielmehr an jeglichem Anhaltspunkt dafür, daß den moslemischen Viehdieben bekannt gewesen ist, daß der von ihnen mißhandelte Kläger - zumal als Hirte eines christlichen Klosters - der Glaubensgemeinschaft der Jeziden angehört hat. Daß es sich bei den Hirten des Klosters Mar Malke stets um Jeziden aus den umliegenden Dörfern bzw. aus dem - zweieinhalb Fußstunden entfernt liegenden Wohnort des Klägers -gehandelt hat und dies den moslemischen Viehdieben bekannt war, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

Daß das Berufungsgericht gleichwohl von einer an die Religionszugehörigkeit des Klägers anknüpfenden Gerichtetheit der Übergriffe ausgegangen ist, vermag das Revisionsgericht nicht zu binden. Bei der Annahme einer asylerheblichen Gerichtetheit handelt es sich nämlich nicht allein um eine tatsächliche Feststellung i. S. des § 137 Abs. 2 VwGO, sondern zugleich auch um das Ergebnis einer aufgrund festgestellter Tatsachen erfolgten rechtlichen Würdigung (vgl. Urteil vom 16. Juli 1986 - BVerwG 9 C 155.86 - InfAusIR 1986, 294 = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 52). Unter diesen Umständen kommt es auf die von der Revision erhobene Verfahrensrüge der mangelnden Sachaufklärung zur asylerheblichen Gerichtetheit der Übergriffe nicht mehr an.

Weitere Feststellungen, aus denen sich eine asylerhebliche Einzelverfolgung des Klägers ergeben könnte, hat das Berufungsgericht nicht getroffen; die >Frage einer möglichen Gruppenverfolgung< hat es ausdrücklich offengelassen (UA S. 13).

Das Berufungsgericht muß nunmehr prüfen, ob dem Vorbringen des Klägers tragfähige Anhaltspunkte für eine anderweitig erlittene Einzelverfolgung zu entnehmen sind oder ob zugunsten des Klägers von einer asylerheblichen Gruppenverfolgung der Jeziden in der Osttürkei (vgl. insoweit Urteil vom 15. Mai 1990 - BVerwG 9 C 17.89 - a.a.O.) ausgegangen werden kann. Dabei wird das Berufungsgericht folgendes zu beachten haben:

Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung, des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist politische Verfolgung grundsätzlich staatliche Verfolgung (BVerfGE 80 S.334; Urteile vom 2. August 1983 - BVerwG 9 C 818.81 BVerwGE 67, 317 und vom 6. März 1990 - BVerwG 9 C 14.89 - BVerwGE 85, 12 <20> = InfAusIR 1990, 211). Übergriffe von Privatpersonen fallen deshalb nur dann in den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, wenn der Staat für das Tun der Dritten wie für eigenes Handeln verantwortlich ist. Das ist dann der Fall, wenn der Staat die Verfolgungsmaßnahmen anregt oder derartige Handlungen unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt (vgl. Urteile vom 2. August 1983 - BVerwG 9 C 818.81 - und vom 6. März 1990 - BVerwG 9 C 14.89 - beide a.a.O.; BVerfGE 54, 341 <358>; 80 S. 335).

Für die Annahme, daß der türkische Staat in dem hier maßgeblichen Zeitraum Übergriffe von Moslems auf Jeziden unterstützt oder gebilligt hat, ist nach den bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nichts ersichtlich. Es kommt deshalb nur eine tatenlose Hinnahme dieser Übergriffe in Betracht. Eine solche liegt nicht bereits dann vor, wenn die Bemühungen des grundsätzlich schutzbereiten Staates zur Unterbindung asylerheblicher Übergriffe Dritter mit unterschiedlicher Effektivität greifen. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Staat mit den ihm an sich zur Verfügung stehenden Mitteln im großen und ganzen Schutz gewährt (vgl. Urteile vom 18. Februar 1986 BVerwG 9 C 104.85 - BVerwGE 74, 41 <43> = InfAusIR 1986, 189, vom 22. April 1986 - BVerwG 9 C 318.85 u. a. - BVerwGE 74, 160 <163> und vom 6. März 1990 -BVerwG 9 C 14.89 - a.a. 0.; BVerfGE 80 S. 336). Davon kann dann keine Rede sein, wenn der Staat zur Schutzgewährung entweder nicht bereit ist oder wenn er sich nicht in der Lage sieht, die ihm an sich verfügbaren Mittel im konkreten Fall gegenüber Verfolgungsmaßnahmen Dritter einzusetzen (BVerfGE 80 S. 336; 54 S. 358). Übersteigt hingegen die Schutzgewährung die Kräfte des konkreten Staates, liegt die Schutzgewährung m.a.W. jenseits der dem Staat an sich zur Verfügung stehenden Mittel, so endet seine asylrechtliche Verantwortlichkeit. Die Zurechnung von Drittverfolgungsmaßnahmen findet ihre Grundlage also nicht schon im bloßen Anspruch des Staates auf das legitime Gewaltmonopol, sondern erst in dessen - prinzipieller - Verwirklichung (BVerwfGE 80 S.336).

Bei Anwendung dieser Grundsätze läßt sich auf der Basis der vom Berufungsgericht bisher getroffenen Feststellungen eine asylrechtliche Verantwortlichkeit des türkischen Staates für vom Kläger >vor 1979< erlittene Übergriffe nicht bejahen. Das Berufungsgericht geht ausdrücklich davon aus, vor der Machtübernahme durch die Militärs im Jahre 1980 - also in dem hier maßgeblichen Zeitraum >vor 1979< - scheine nicht nur die grundsätzliche Bereitschaft des türkischen Staates gefehlt zu haben, auch die Jeziden gegen Verfolgungsmaßnahmen Dritter zu schützen, sondern sogar die - von der Asylgewährleistung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG vorausgesetzte... - prinzipielle Verwirklichung des staatlichen Gewaltmonopols in Frage gestellt gewesen zu sein< (UA S. 22). Stellt aber das Berufungsgericht die prinzipielle Verwirklichung des staatlichen Gewaltmonopols selbst in Frage, so zieht es damit die Grundvoraussetzung für eine asylrechtliche Verantwortlichkeit des türkischen Staates in Zweifel: Überstieg nämlich zum damaligen Zeitpunkt die Schutzgewährung für Jeziden in Ostanatolien die Kräfte des türkischen Staates, war dieser also prinzipiell außerstande, dort sein legitimes Gewaltmonopel zu verwirklichen, so kann er für seinerzeitige Übergriffe auf Jeziden - also auch für Übergriffe auf den Kläger - nicht verantwortlich gemacht werden. War hingegen der türkische Staat im fraglichen Zeitraum lediglich außerstande, die ihm an sich verfügbaren Mittel im konkreten Fall Zur Schutzgewährung einzusetzen, so sind ihm die damaligen Übergriffe auf Jeziden zuzurechnen. Das Berufungsgericht wird, sofern die Frage der staatlichen Verantwortlichkeit entscheidungserheblich werden sollte, die insoweit erforderlichen Feststellungen nachholen müssen.

Darüber hinaus wird das Berufungsgericht der Frage nachzugehen haben, ob der Kläger seine Heimat im Jahre 1985 unter dem Druck politischer Verfolgung verlassen hat.

Das auf dem Zufluchtgedanken beruhende Asylgruhdrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG setzt von seinem Tatbestand her grundsätzlich den Kausalzusammenhang Verfolgung - Flucht - Asyl voraus (BVerfGE 80 S. 344; Urteile vom 15. Mai 1990 - BVerwG 9 C 17.89 - und vom 20. November 1990 - BVerwG 9 C 72.90 - beide a. a. 0.). Die Ausreise muß sich deshalb bei objektiver Betrachtung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild als eine unter dem Druck erlittener Verfolgung stattfindende Flucht darstellen. In dieser Hinsicht kommt der zwischen Verfolgung und Ausreise verstrichenen Zeit entscheidende Bedeutung zu. je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatstaat verbleibt, um so mehr verbraucht sich der objektive äußere Zusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise. Daher kann allein schon bloßer Zeitablauf dazu führen, daß eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck erlittener Verfolgung stehenden Flucht verliert. Ein Ausländer ist mithin grundsätzlich nur dann als verfolgt ausgereist anzusehen, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der erlittenen Verfolgung verläßt (vgl. Urteil vom 30. Oktober 1990 - BVerwG 9 C 60.89 - BVerwGE 87, 52 sowie Urteil vom 20. November 1990 - BVerwG 9 C 72.90 - a.a.O.). Welche Zeitspanne in dieser Hinsicht maßgebend ist, hängt von den jeweiligen Verhältnissen ab. Jedenfalls kann ein Ausländer, der nach einer beendeten politischen Verfolgung über mehrere Jahre hinweg in seinem Heimatstaat verblieben ist, ohne dort erneut von politischer Verfolgung bedroht zu sein, nicht als verfolgt ausgereist angesehen werden, wenn er später seinen Heimatstaat verläßt (vgl. Urteil vom 30. Oktoher 1990 - BVerwG 9 C 60.89 - a.a.O.).

So verhält es sich nach den bisher getroffenen Feststellungen im Fall des Klägers. Soweit das Berufungsgericht davon ausgeht, der durch die Übergriffe moslemischer Viehdiebe erzeugte Verfolgungsdruck habe bis zur Ausreise des Klägers aus der Türkei im Jahre 1985 fortbestanden, kann dem - abgesehen von der fehlenden asylerheblichen Gerichtetheit der Übergriffe -nicht gefolgt werden. Nach seinen eigenen - vom Berufungsgericht als glaubhaft übernommenen - Angaben ist der Kläger nach seiner Tätigkeit als Klosterhirte über mehrere Jahre hinweg nach Istanbul gereist und hat dort gearbeitet. Nach Beendigung der jeweiligen Saison-Arbeit ist der Kläger stets in seine engere Heimat in Ostanatolien zurückgekehrt. Dieser Umstand läßt für die Annahme, eine vor 1979 erlittene Verfolgung könne für die Ausreise im Jahre 1985 bestimmend gewesen sein, keinen Raum. Daran vermag auch die Feststellung des Berufungsgerichts nichts zu ändern, der Kläger sei in Istanbul mitunter wegen seiner Religionszugehörigkeit um den Lohn betrogen worden und habe sich auch in Istanbul bedroht gefühlt und um sein Leben gefürchtet. All dies hat den Kläger nämlich nicht davon abgehalten, über Jahre hinweg - der Kläger selbst spricht im Berufungsverfahren von etwa 10 Jahren - im Sommer nach Istanbul zu reisen, dort eine Arbeit aufzunehmen und anschließend in sein Heimatdorf zurückzukehren.

Dafür, daß der Kläger in Istanbul - oder in Ostanatolien - von einer asylerheblichen Verfolgung betroffen oder bedroht gewesen ist, bieten die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts keine schlüssigen Anhaltspunkte. Daß sich der Kläger >in Istanbul bedroht gefühlt und um sein Leben gefürchtet< hat (UA S. 18), reicht für die Annahme einer dort erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung (vgl. zu letzterem: Urteil vom 9. April 1991 - BVerwG 9 C 91.90 u. a. -) nicht aus. Dies gilt auch für das - als glaubhaft bewertete - Vorbringen des Klägers, in Istanbul wegen seiner Religionszugehörigkeit mitunter um den Lohn betrogen worden zu sein. Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt durch private Arbeitgeber sind unter der Voraussetzung, daß sie überhaupt dem Staat zugerechnet werden können, nur dann asylerheblich, wenn sie sich nach Intensität und Schwere als Eingriff in die Menschenwürde darstellen, wenn also die wirtschaftliche Existenz bedroht und damit jenes Existenzminimum nicht mehr gewährleistet ist, das ein menschenwürdiges Dasein erst ausmacht (Urteil vom 18. Februar 1986 - BVerwG 9 C 104.85 -BVerwGE a.a.0. S. 47; Urteil vom 8. Februar 1989 - BVerwG 9 C 30.87 - Buchholz 402.25 § 1 AsyIVfG Nr. 104). Für solche Eingriffe ist hier- wie die langjährige Saison-Arbeit des Klägers in Istanbul zeigt - nichts ersichtlich. Auch dem bislang nicht näher substantiierten Hinweis des Berufungsgerichts, der Kläger sei >zur Ausreisezeit in seiner Heimatregion vor einer weiteren Verfolgung nicht hinreichend sicher< gewesen (UA S. 18), lassen sich schlüssige Anhaltspunkte für eine dort erlittene oder dem Kläger unmittelbar drohende Verfolgung nicht entnehmen. Dies gilt ebenso für die Feststellung des Berufungsgerichts, die Sicherheitslage für Jeziden habe sich in deren Herkunftsgebiete im Laufe der 80er Jahre wieder zusehends verschlechtert.

Soweit nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts >die unmittelbare Betroffenheit des einzelnen durch gerade auf ihn zielende Verfolgungsmaßnahmen ebenso wie die Gruppengerichtetheit der Verfolgung nur Eckpunkte eines durch fließende Übergänge gekennzeichneten Erscheinungsbildes politischer Verfolgung darstellen< und auch >Fällen im Ubergangsbereich zwischen anlaßgeprägter Einzelverfolgung und gruppengerichteter Kollektivverfolgung... Rechnung getragen werden (muß)< (vgl. Beschluß vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85, 515/89, 1827/89 - EuGRZ 1991, 109 = InfAusIR 1991, 200), weist der Senat klarstellend auf folgendes hin:

Nach der zitierten Rechtsprechung (a.a.0.) sollen >möglicherweise< das an >Referenzfällen< festzumachende vergleichbare Verfolgungsgeschehen sowie die Frage Asylerheblichkeit gewinnen, ob die Gruppenangehörigen als Minderheit in einem Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung leben müssen, das Verfolgungshandlungen wenn nicht gar in den Augen der Verfolger rechtfertigt, so doch tatsächlich begünstigt, und ob sie ganz allgemein Unterdrückungen und Nachstellungen ausgesetzt sind, mögen diese auch noch nicht von einer Schwere sein, die die Annahme politischer Verfolgung begründet<. Diese Ausführungen sind nicht dahin zu verstehen, daß neben die bisherigen Formen der Einzel- und Gruppenverfolgung eine dritte Kategorie asylerheblicher Verfolgungsbetroffenheit treten soll. Die vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobenen Gesichtspunkte sind vielmehr lediglich als gewichtige Indizien für eine gegenwärtige Gefahr politischer Verfolgung von Bedeutung. Auf die Maßgeblichkeit solcher Indizien hat das Bundesverwaltungsgericht wiederholt hingewiesen (vgl. u. a. Urteile vom 17. Mai 1983 - BVerwG 9 C 874.82 - BVerwGE 67, 195 <199> und vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Daß sich allein mit Blick auf die vom Bundesverfassungsgericht (a.a.0.) genannten Kriterien >Referenzfälle< und >Klima< ein Asylanspruch nicht begründen läßt, zeigt bereits die Überlegung, daß nahezu jeder Angehörige einer ethnischen, religiösen oder politischen Minderheit - insbesondere in den Randgebieten eines Staates mit langandauernden Differenzen zwischen ethnischen und religiösen Gruppen von Menschen - auf >Referenzfälle< politischer Verfolgung sowie auf ein diese Verfolgung begünstigendes Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung verweisen kann. Unter diesem Aspekt wären sie alle einem >Übergangsbereich zwischen anlaßgeprägter Einzelverfolgung und gruppengerichteter Kollektivverfolgung< zuzuordnen und als asylberechtigt anzuerkennen. Das Asylgrundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG würde damit jedoch den Charakter eines allgemeinen Grundrechts zum Schutz von Minderheiten annehmen. Eine derart weitreichende Asylverheißung läßt sich indes Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht entnehmen. Davon geht im übrigen auch das Bundesverfassungsgericht aus, wenn es in seinem Beschluß vom 23. Januar 1991 (a.a.O.) nochmals ausdrücklich den Individualrechtscharakter des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG betont und an der Notwendigkeit einer eigenen Verfolgungsbetroffenheit - sei es in Form der erlittenen, sei es in Form der unmittelbar drohenden Verfolgung -festhält.

Vor diesem Hintergrund liegt die Bedeutung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Januar 1991 (a. a. 0.) darin, daß sie den Blick der Fachgerichte auf tatsächlich bestehende asylerhebliche Gefährdungslagew im >Übergangsbereich zwischen Einzel- und Gruppenverfolgung lenkt und nochmals deutlich macht, daß solche Gefährdungslagen >nicht in einer den Gewährleistungsinhalt des Grundrechts verkürzenden Weise unberücksichtigt bleiben (dürfen)< (BVerfG a.a.0.). Dies ist in der fachgerichtlichen Rechtsprechung allerdings nie zweifelhaft gewesen, wie u. a. die Forderung nach einer umfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts (vgl. u. a. Urteil vom 6. März 1990 -BVerwG 9 C 14.89 - a.a.0. S. 15 m.w.N.) und die -vom Bundesverfassungsgericht selbst (a.a.O.) in Bezug genommene - Differenzierung zwischen Einzelverfolgung, Gruppenverfolgung und Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit belegen (vgl. Urteil vom 30. Oktober 1984 - BVerwG 9 C 24.84 -BVerwGE 70, 232 <233 f.> = InfAusIR 1985, 48).

Die rechtliche Einordnung von tatsächlichen Gefährdungslagen im >Übergangsbereich zwischen anlaßgeprägter Einzelverfolgung und gruppengerichteter Kollektivverfolgung< bereitet allerdings insofern Schwierigkeiten, als das Bundesverfassungsgericht mit der von ihm geforderten >Ausreise wegen bestehender oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung< (BVerfGE 80 S. 345) asylrechtliche Voraussetzungen normiert hat, die in den Fällen des von ihm nunmehr betonten Übergangsbereichs< im allgemeinen gerade nicht erfüllt sind: Wer seine Heimat lediglich wegen erfolgter >Referenzfälle< politischer Verfolgung und wegen eines dort herrschenden feindseligen Klimas verläßt, ist - in Ermangelung einer eigenen Verfolgungsbetroffenheit bzw. wegen Fehlens der für eine Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte (vgl. Urteil vom 15. Mai 1990 - BVerwG 9 C 17.89 - a.a. 0. m.w.N.) - in der Regel eben nicht wegen bestehender oder unmittelbar drohender (eigener) Verfolgung ausgereist. Den genannten Gefährdungslagen muß indes - wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 23. Januar 1991 (a. a. 0.) in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht zu Recht hervorhebt Rechnung getragen werden. Hierfür bedarf es jedoch eines geeigneten rechtlichen Kriteriums. Ein solches vermag nach Auffassung des erkennenden Senats maßgeblich die - im Mittelpunkt der bisherigen Asylrechtsprechung stehende - >Zumutbarkeitsformel< zu liefern. Danach hegt ein Asylsuchender begründete Furcht vor politischer Verfolgung, wenn es ihm bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles nicht zuzumuten ist, in seinem Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (vgl. u. a. Urteile vom 29. November 1977 - BVerwG 1 C 33.71 -BVerwGE 55, 82 <83 f.> und vom 23. Februar 1988 BVerwG 9 C 32.87 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 80). Maßgeblich ist insoweit nicht das subjektive Furchtempfinden des Asylbewerbers. Das Grundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG geht vielmehr - wie das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1980 (BVerfGE 54, 341 <359> = InfAusIR 1980, 338) betont hat und in seinem Beschluß vom 23. Januar 1991 (a.a.0. BAS. 21) nochmals wiederholt-von einer objektiven Beurteilung der Verfolgungsgefahr aus. Bei einer objektiven Beurteilung können aber grundsätzlich auch >Referenzfälle< stattgefundener und stattfindender politischer Verfolgung sowie ein >Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung< in einem Asylbewerber begründete Verfolgungsfurcht entstehen lassen, so daß es ihm nicht zuzumuten ist, in seinem Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Wann eine Verfolgungsfurcht als begründet und asylrechtlich beachtlich anzusehen ist, hängt - wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23. Februar 1988 (a.a.O.) dargelegt hat - >von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung<. Die für eine Verfolgung sprechenden Umstände müssen jedoch - davon geht auch das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) aus - nach ihrer Intensität und Häufigkeit von einem solchen Gewicht sein, daß sich daraus ei objektiver Betrachtung für den Asylbewerber die begründete Furcht ableiten läßt, selbst ein Opfer solcher Verfolgungsmaßnahmen zu werden.

Sollte das Berufungsgericht auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen zu dem Ergebnis kommen, daß der Kläger seine Heimat im Jahre 1985 unter dem Druck einer dem türkischen Staat zurechenbaren politischen Verfolgung verlassen hat, so wird es ferner zu prüfen haben, ob dem Kläger im Zeitpunkt des Verlassens der Türkei (November 1985) ein Ausweichen vor dieser Verfolgung innerhalb seines Heimatstaates zumutbar gewesen ist. Auf der Grundlage der bisher von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen läßt sich dies nicht ohne weiteres ausschließen.

Eine inländische Fluchtalternative setzt-Voraus, daß der Asylsuchende in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (BVerfGE 81, 58 <65 f.> = InfAusIR 1990, 34; 80 S. 343 f.; Urteile vom 15. Mai 1990 - BVerwG 9 C 17.89 - und vom 20. November 1990 BVerwG 9 C 72.90 - a.a.O.). Ist der Asylsuchende vor einer regionalen, an seine Religionszugehörigkeit anknüpfenden politischen Verfolgung geflohen, so ist er am Ort einer in Betracht kommenden Fluchtalternative auch dann nicht hinreichend sicher vor politischer Verfolgung, wenn der Staat ihn durch eigene Maßnahmen daran hindert, das religiöse Existenzminimum zu wahren, oder wenn die-dort ansässige Bevölkerung die Wahrung des religiösen Existenzminimums durch aktives, mit dem für alle geltenden Recht unvereinbares Handeln unmöglich macht, ohne daß der Staat mögliche Gegenmaßnahmen ergreift. Bei der Bestimmung des religiösen Existenzminimums sind die besonderen, nach der allgemein geübten religiösen Praxis für das religiöse Leben schlechthin unverzichtbaren Voraussetzungen der Religionsausübung in den Blick zu nehmen (BVerfGE 81 S. 66; vgl. auch Urteil vom 15. Mai 1990 BVerwG 9 C 17.89 - a.a.O.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist für eine an die Religionszugehörigkeit anknüpfende politische Verfolgung des Klägers am Ort einer möglichen Fluchtalternative nichts ersichtlich. Zwar hat das Berufungsgericht festgestellt, daß Jeziden ohne vollständige Verleugnung ihrer religiösen Identität in den Städten der Türkei keine Überlebenschance haben. Den diesbezüglichen Feststellungen ist indes kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß der türkische Staat die Jeziden durch eigene Maßnahmen daran hindert, in den Städten das religiöse Existenzminimum zu wahren, oder die städtische Bevölkerung der Jeziden die Wahrung des religiösen Existenzminirnums durch aktives, mit dem für alle geltenden Recht unvereinbares Handeln unmöglich macht.

Auf eine an die Religionszugehörigkeit anknüpfende politische Verfolgung der Jeziden am Ort einer möglichen Fluchtalternative hat das Berufungsgericht allerdings auch nicht abgestellt. Diesen Problemkreis hat es vielmehr - ebenso wie die Frage nach der Verbundenheit des Klägers mit einer >Religionsfamilie< (vgl. insoweit BVerfGE 81 - S. 66 f.; auch Urteil vom 15. Mai 1990 - BVerwG 9 C 17.89 - a.a.O.) - ausdrücklich offengelassen. Das Berufungsgericht ist vielmehr davon ausgegangen, daß dem Kläger eine inländische Fluchtalternative nicht eröffnet gewesen sei, weil er >in den Städten der Türkei und insbesondere im Westen des Landes - dort vor allem in Istanbuh< als gläubiger Jezide sein wirtschaftliches Existenzminimum nicht habe sichern können; in der vorwiegend moslemisch geprägten Umwelt wäre er nämlich als gläubiger Jezide >unweigerlich< aufgefallen; dies hätte dazu geführt, daß ihm ein Arbeitsplatz erst gar nicht angeboten oder doch bald wieder entzogen worden wäre (UA S. 33). Gegenüber dieser Bewertung ist im Ansatz revisionsgerichtlich nichts zu erinnern. Sie begegnet lediglich insofern Bedenken, als das vom Berufungsgericht festgestellte konkrete Schicksal des Klägers gewisse Anhaltspunkte dafür bietet, daß es auch einem gläubigen Jeziden möglich (gewesen) ist, in Istanbul-wenn auch unter erschwerten Bedingungen - sein wirtschaftliches Auskommen zu finden. In diese Richtung weist jedenfalls der Umstand, daß der Kläger seinem eigenen Vorbringen zufolge etwa zehn Jahre lang jeweils während des Sommers in Istanbul gearbeitet hat. Zwar ist er dort einige Male nach Bekanntwerden seiner Religionszugehörigkeit um den Lohn betrogen worden. Zu einer >Enttarnung< des Klägers als Jezide ist es jedoch entgegen der allgemeinen Einschätzung des Berufungsgerichts nicht unweigerlich< Jahr für Jahr, sondern nach dem eigenen Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren nur dann gekommen, wenn dieser von sich aus seine Religion bekannt hat. Dieser Unstimmigkeit zwischen der generellen Einschitzung der Lage in Istanbul und dem konkreten Schicksal des Klägers wird das Berufungsgericht erforderlichenfalls nachzugehen haben.

Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, daß der Kläger seine Heimat im Jahre 1985 unter dem Druck einer dem türkischen Staat zurechenbaren asylerheblichen Verfolgung verlassen hat und daß ihm auch ein Ausweichen innerhalb der Türkei nicht zumutbar gewesen ist, so wird es schließlich die Frage nach dem Fortbestehen der fluchtbegründenden Umstände im Zeitpunkt der berufungsgerichtlichen Entscheidung (BVerfGE 80 S. 345) zu prüfen haben.

Wann von einem Fortbestehen der fluchtbegründenden Umstände ohne wesentliche Änderung die Rede sein kann, hat das Bundesverfassungsgericht (a.a.0.) nicht ausdrücklich dargelegt. Der Zusammenhang mit dem Merkmal >Ausreise wegen bestehender oder unmittelbar drohender Verfolgung< legt es jedoch nahe, ein solches Fortbestehen jedenfalls dann zu bejahen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung im wesentlichen all jene Umstände vorliegen, die den Asylbewerber zu einem verfolgt Ausgereisten gemacht haben. Das Bundesverfassungsgericht geht im übrigen davon aus, eine Anerkennung als Asylberechtigter sei nicht geboten, wenn der Asylsuchende vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher< sein könne (BVerfGE 80 S. 345 unter Hinweis auf BVerfGE 54 S. 360). Hieraus folgt, daß das Bundesverfassungsgericht im Falle einer nicht hinreichend sicher auszuschließenden abermaligen Verfolgungsbetroffenheit einen Asylanspruch bejahen will. Von diesem Maßstab der fehlenden Sicherheit vor erneuter Verfolgung geht auch de Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung aus (vgl. u. a. Urteil vom 25. September 1984 BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170> = InfAuslR 1985, 51).

Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, daß der Kläger seinen Heimatstaat unverfolgt verlassen hat, so kann sein Asylbegehren nach den einleitend dargelegten Grundsätzen nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von beachtlichen Nachfluchttatbestinden politische Verfolgung droht. Für solche-subjektiven oder objektiven - Nachfluchttatbestände ist nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts allerdings nichts ersichtlich.«

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