B gegen den Bescheid des Bundesministers
Publisher | Germany: Verwaltungsgericht |
Publication Date | 29 June 1994 |
Citation / Document Symbol | Zl. 93/01/0377 |
Type of Decision | DNr. 0408/1030 Alt |
Cite as | B gegen den Bescheid des Bundesministers, Zl. 93/01/0377 , Germany: Verwaltungsgericht, 29 June 1994, available at: https://www.refworld.org/cases,DEU_VERWALT2,3ae6b71114.html [accessed 18 May 2023] |
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IM NAMEN DER REPUBLIK!
Der Verwaltungsgrichtshof hat über die Beschwerde des B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. März 1993, Zl. 4.327.888/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen Bescheid vom 15. März 1993 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen "der früheren SFRJ" albanischer Nationalität, der am 11. November 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 27. März 1992 ab und versagte ihm die Gewährung von Asyl.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Er erachtet sich seinem ganzen Vorbringen nach insbesondere deshalb in seinen Rechten verletzt, weil die Verweigerung des Militärdienstes in der Armee der "ehemaligen SFRJ" bzw. die wegen dieser Verweigerung drohende Bestrafung nicht als ausreichende Begründung für die Gewährung von Asyl angesehen worden sei.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie der Beschwerdeführer über Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof eine Stellungnahme zu den für eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides sprechenden Gründen abgegeben. Diese Stellungnahme haben sowohl die belangte Behörde als auch der Beschwerdeführer in jeweils einem weiteren Schriftsatz ergänzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber in einem gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG verstärkten Senat erwogen:
Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 18. November 1991 unter anderem wörtlich folgendes ausgeführt:
''... in Jugoslawien gehörte ich keiner politischen Organisation als Mitglied an.
Am 14.10.1991 wurde mir von Milizbeamten die Einberufung zum serbischen Militär zugestellt, wonach ich mich am 15.10.1991 bei den Militärbehörden in Vukovar melden sollte. Ich bin dieser Einberufung nicht nachgekommen, weil ich nicht einsehe, daß ich heute als Angehöriger der albanischen Minderheit mit den Serben gegen die Kroaten kämpfen soll, wo wir doch jahrelang von den Serben unterdrückt worden sind. Ich sehe auch keinen Grund, warum ich heute auf Menschen schießen sollte, die mir nichts getan haben. Da ich in Jugoslawien nun wegen Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe, wenn nicht sogar mit der Todesstrafe zu rechnen hätte, habe ich mich entschlossen, Jugoslawien zu verlassen. Vor Ausbruch des Krieges hatte ich persönlich in Jugoslawien keinerlei Schwierigkeiten und war ich weder aus politischen noch aus religiösen oder rassischen Gründen Verfolgungen ausgesetzt."
In seiner gegen den abweislichen erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung hat der Beschwerdeführer diese Angaben bekräftigt und ergänzend angeführt, er habe der Einberufung zum Militär deshalb nicht Folge geleistet, weil "in Jugoslawien ein Bürgerkriegszustand'' herrsche. In seiner Heimat Kosovo werde die Bevölkerung von der serbischen Minderheit unterdrückt, und er müsse im Fall seiner Rückkehr mit "Konsequenzen" rechnen, wobei sich die politische Situation in seinem Heimatland in letzter Zeit noch verschlechtert habe.
Die belangte Behörde hat - ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers in erster Instanz, das sie nicht in Frage stellte - die Abweisung des Asylantrages insbesondere damit begründet, daß die Einberufung zur Militärdienstleistung keine Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 darstelle, weil die erforderliche Verfolgungsmotivation nicht gegeben sei, wenn die staatlichen Maßnahmen der Durchsetzung staatsbürgerlicher Pflicht dienten. In diesem Sinne stelle die Militärdienstpflicht und deren Sicherstellung durch Strafandrohung eine auf einem originären und souveränen staatlichen Recht beruhende legitime Maßnahme dar, weshalb eine unter Umständen auch strenge Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung als solche keine Verfolgung im Sinne dieser Gesetzesstelle darstelle. Die Beweggründe des Beschwerdeführers, seiner Militärdienstleistungspflicht nicht nachzukommen, seien asylrechtlich insofern unbeachtlich, als sie für sich noch keine Rückschlüsse auf eine Verfolgungsmotivation des Staates zuließen. Seinem Vorbringen seien keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß mit seiner Einberufung eine asylrelevante Verfolgung beabsichtigt gewesen wäre.
Da das Berufungsverfahren im vorliegenden Fall am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres anhängig war, ist gemäß § 25 Abs. 2 Asylgesetz 1991 dieses Gesetz anzuwenden. Gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) ist Flüchtling, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Die von der belangten Behörde vertretene Auffassung, daß die Einberufung zur Militärdienstleistung im allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung darstelle, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa aus der jüngeren Judikatur die hg. Erkenntnisse vom 19. September 1990, Zl. 90/01/0108, vom 17. Juni 1992, Zl. 92/01/0096, vom 16. Dezember 1992, Zl. 92/01/0734, und vom 21. April 1993, Zlen. 92/01/1121, 1122). Danach stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes grundsätzlich keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dar, da die Militärdienstpflicht alle in einem entsprechenden Alter befindlichen männlichen Staatsbürger in gleicher Weise trifft (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1989, Zl. 89/01/0230, und die dort zitierte Vorjudikatur). Eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes bzw. wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung wird in diesem Sinne grundsätzlich nicht als Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention angesehen (vgl. dazu für viele z.B. die hg. Erkenntnisse vom 30. November 1992, Zl. 92/01/0718, und vom 21. April 1993, Zlen. 92/01/1121, 1122). Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Auffassung auch in Fällen vertreten, in denen in den betroffenen Heimatstaaten Bürgerkrieg, Revolten oder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen stattgefunden haben (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. November 1992, Zl. 92/01/0789, betreffend Somalia, und Zl. 92/01/0718, betreffend Äthiopien, vom 8. April 1992, Zl. 92/01/0243, vom 16. Dezember 1992, Zl. 92/01/0734, und vom 17. Februar 1993, Zl. 92/01/0784, alle betreffend die frühere Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes könnte die Flucht wegen Einberufung zum Militärdienst nur dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen eine drohende allfällige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen gewesen wäre (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1993, Zlen. 92/01/1121, 1122).
Vor dem Hintergrund dieser Judikatur ist zu beachten, daß der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Befragung im erstinstanzlichen Verfahren als Fluchtgrund nicht wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen seiner politischen Gesinnung zum Ausdruck brachte; auch unter Bedachtnahme auf die Lage im Heimatland des Beschwerdeführers und in den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien, sowie die dazu vorliegenden Äußerungen von Organen internationaler Organisationen liegt kein Anhaltspunkt dafür vor, die dem Beschwerdeführer nach seinen Behauptungen drohende Verfolgung wegen Wehrdienstverweigerung als eine aus Gründen der politischen Gesinnung anzusehen. Es braucht daher in weiterer Folge auf die von den Verfahrensparteien im verwaltungsgerichtlichen Verfahren dazu vorgebrachten Argumente nicht eingegangen zu werden.
Der Beschwerdeführer hat aber mit noch hinreichender Deutlichkeit artikuliert, den Wehrdienst deshalb verweigert zu haben, weil er als Angehöriger der jahrelang von den Serben unterdrückten albanischen Volksgruppe im Kosovo nicht mit den Serben gegen die Kroaten Krieg führen wolle. Er fürchte deshalb ''eine mehrjährige Freiheitsstrafe, wenn nicht die Todesstrafe". Die belangte Behörde, die die Nichtbefolgung der Einberufung zum Militärdienst durch den Beschwerdeführer ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung seiner staatsbürgerlichen Pflichten behandelte, verkannte in diesem Zusammenhang rechtlich das Problem des vom Beschwerdeführer behaupteten Zusammenhanges gerade zwischen seiner Einberufung zum Militärdienst (und seiner Eigenschaft) als Angehöriger der von den Serben unterdrückten albanischen Nationalität im Kosovo. Durch die Außerachtlassung des vom Beschwerdeführer damit geltend gemachten Asylgrundes der Furcht vor Verfolgung aus Gründen seiner Zugehörigkeit zur albanischen Nationalität hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Ausgehend von dieser unrichtigen Rechtsansicht hat es die belangte Behörde in weiterer Folge verabsäumt, Ermittlungen darüber anzustellen,
a) welche Praxis seitens der Behörden im Heimatland des Beschwerdeführers betreffend die Einberufung von Wehrpflichtigen albanischer Nationalität im Vergleich zur Einberufung von Angehörigen anderer Volksgruppen, insbesondere der serbischen gepflogen wird, und zwar sowohl hinsichtlich der Einberufung zum Militärdienst an sich, als auch hinsichtlich der Umstände, unter denen der Militärdienst abzuleisten ist, und
b) welche Praxis seitens der Behörden im Heimatland des Beschwerdeführers betreffend die gegen Wehrdienstverweigerer und Deserteure verhängten Sanktionen einerseits in bezug auf Angehörige der albanischen Nationalität und andererseits in bezug auf Angehörige anderer Volksgruppen, insbesondere der serbischen geübt wird (sogenannter sekundärer Verfahrensmangel).
Auf Basis der entsprechenden Ermittlungsergebnisse wäre die Frage einer Klärung zuzuführen gewesen, ob nicht im Falle des Beschwerdeführers die Einberufung zum Militärdienst bzw. die Umstände seiner Ableistung und die ihm wegen der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles drohenden Sanktionen als Maßnahmen einer drohenden Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur albanischen Nationalität anzusehen sind und somit an asylrelevante Merkmale anknüpfen. Dies wäre zu bejahen, wenn sich ergäbe, daß Angehörige der albanischen Volksgruppe in Vergleich zu anderen in den genannten Belangen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt werden.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von der belangten Behörde vorgebrachten Argument, der Beschwerdeführer bedürfe nicht des asylrechtlichen Schutzes, weil er im Falle drohender Todesstrafe oder unmenschlicher Behandlung bereits durch § 37 FrG vor einer Abschiebung sicher sei, ist entgegenzuhalten, daß die Frage, ob einem Asylwerber Asyl zu gewähren ist, ausschließlich anhand der im Beschwerdefall anzuwendenden Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 und unabhängig von der Frage zu beurteilen ist, ob nach fremdenpolizeilichen Bestimmungen ein Abschiebungsverbot besteht.
Die belangte Behörde hat in ihrer Stellungnahme auch den Umstand als Asylausschlußgrund ins Treffen geführt, daß sich der Beschwerdeführer vor seiner Einreise nach Österreich in Slowenien aufgehalten habe. Dieser Argumentation kann im Beschwerdefall schon deshalb keine Relevanz zukommen, weil die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid diesen Umstand und die daraus abgeleiteten Rechtsfolgen gar nicht aufgegriffen und somit den Beschwerdeführer auch nicht in die Lage versetzt hat, zumindestens in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zu diesem Problemkomplex Stellung zu nehmen.
Von der beantragten Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.