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Im polnischen Zosin finden Flüchtlinge aus der Ukraine Schutz – aber die Angst bleibt.
Alle paar Minuten springt die Ampel auf grün. Zehn, zwölf Autos kommen dann durch, die eben noch auf der Stahlbrücke über dem Bug gestanden hatten. Mitten durch den Fluss und damit über die Brücke verläuft die Grenze zwischen der Ukraine und Polen. Wer es über die Brücke geschafft hat, ist in Sicherheit. Hinter den Menschen, die hier in Zosin in den Autos sitzen oder manchmal auch einfach nur zu Fuß die Brücke überqueren, liegen Tage mit Strapazen, Unsicherheit und Angst.
„Wir sind jetzt den dritten Tag unterwegs“, sagt Olga. Sie sieht müde aus, aber auch erleichtert. Im Babysitz des Autos sitzt ihr zwei Jahre alter Sohn und daneben das Mädchen einer Nachbarin, während sich Polina an ihre Mutter schmiegt. Die Achtjährige lächelt scheu, ist aber auch neugierig. Zu Hause ist sie in Kiew, aber hier am Grenzübergang ist alles spannend. Zumindest nach all dem Warten.
„Wir sind gleich geflohen, als die ersten Bomben fielen“, erzählt Olga. „Wir haben allein zwölf Stunden gebraucht, um aus Kiew rauszukommen. Hier stehen wir jetzt seit 36 Stunden.“ Eine warme Mahlzeit oder eine Toilette haben sie und die Kinder seit drei Tagen nicht gesehen, aber sie will nicht klagen. „Anderen geht es bestimmt noch schlechter. Und wir sind wenigstens gesund.“ Sie streichelt ihrer Tochter über den Kopf, der warm eingepackt ist. Nachts gibt es Minusgrade. Wie hält man es da mit kleinen Kindern im Auto aus. Olga zuckt mit den Schultern. „Wir hatten ja keine Wahl.“
Mehr als 14 Kilometer lang ist die Autoschlange in Zosin, die an den anderen Grenzkontrollstellen sind nicht kürzer. „Wir nehmen jeden, der in der Ukraine legal gelebt hat, gern auf“, sagt der Kommandant der polnischen Grenzschützer. „Aber wir müssen von jedem die Identität festhalten.“
„Viele kommen einfach zu Fuß“, erzählt der Grenzpolizist. „Dann müssen sie nur vier Stunden warten.“ Direkt an der Kontrolle steht ein großes orangenes Zelt. Hier gibt es heißen Tee und Gebäck, Früchte und Brote. Eine Frau wickelt ein Baby, sie sieht erschöpft aus. In den Gesichtern der Flüchtlinge spiegeln sich Angst und Erleichterung, Erschöpfung und Kraft, Niedergeschlagenheit und Hoffnung. Nicht selten alles auf einmal. Manche Kinder weinen. Manche rennen aber auch herum, zu jung, um zu begreifen, was hier eigentlich vor sich geht.
Wie kann man zu Fuß über eine Grenze kommen? „Manchmal kommen Busse und setzen die Leute ein paar Kilometer vorher ab“, sagt der Grenzbeamte. „Andere kommen mit dem Auto, lassen es dann drüber stehen und kommen rüber, in Sicherheit.“ Und immer wieder kommen Autos, der Vater umarmt seine Frau und die Kinder – und kehrt dann wieder um in die Ukraine. Tatsächlich sind unter den Flüchtlingen fast nur Frauen und Kinder.
Olga weiß nicht, was auf sie und ihre Kinder zukommt. „Heute Nacht haben wir eine Unterkunft gleich hinter der Grenze“, sagt sie mit einem Lächeln. „Und dann werden wir schon etwas finden. Wir sind ja immerhin jetzt in Sicherheit.“ Am meisten sorgt sie sich um ihren Mann. „Er ist in Kiew geblieben, spendet dauernd Blut und kümmert sich um die Alten, die nicht mehr fliehen konnten.“ Was wäre, wenn sie einen Wunsch freie hätte? Sie muss nicht überlegen. Olga umarmt ihre Tochter und sagt: „Dass die Bomben aufhören. Dass das Töten aufhört. Und dass wir wieder nach Hause können.“
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