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Um wieder mit ihrem Mann vereint zu sein, machte Fatima eine dreimonatige Odyssee durch.
DRESDEN, Deutschland – Um wieder mit ihrem Mann vereint zu sein, machte Fatima eine dreimonatige Odyssee durch. Zu Fuß überquerte sie bergige Grenzen mitten in der Nacht, kämpfte gegen die Übelkeit auf unruhiger See und marschierte stundenlang durch verlassene Landstriche. In Serbien gebar Sie Zwillinge, um gleich darauf ihren Weg fortzusetzen bis sie schließlich in einem kleinen Dorf in Sachsen Zuflucht fand.
Jetzt war die Zeit gekommen. In einer einfachen, Übergangsunterkunft in Serbien brachte sie ihre beiden Kinder zur Welt. Eine einfache Geburt war es nicht.
„Es begann mit diesem Schmerz“, erzählt die 28-Jährige Fatima während sie am Esstisch in dem alten Bauernhaus in einem Dorf nahe Dresden sitzt. „Meine Schwägerinnen eilten zu den Mitarbeitern der Unterkunft und sagten ‚Hilfe, es ist soweit, die Kinder kommen‘.“ Sie wurde sofort in ein Krankenhaus gebracht, wo serbische Ärzte die Zwillinge mit einem Notkaiserschnitt holten. Zwei Wochen später war Fatima wieder auf den Beinen. Die beiden Neugeborenen auf dem Arm war sie schon wieder unterwegs Richtung Deutschland zu ihrem Mann.
Vor dem Krieg lebten Fatima und ihr Mann in der Qalamoun Region nördlich von Damaskus. Ihr Bruder wohnte zusammen mit seiner Frau Zaha und ihren vier Kindern ganz in der Nähe, ebenso Zahas Schwester Iman, ihr Mann und ihr Sohn. Sie waren sich alle sehr vertraut. Sechs junge Cousins wuchsen zusammen wie Geschwister auf.
Im Sommer 2015 kam dann der Krieg. Die Männer konnten nicht länger auf die Straße gehen, ohne fürchten zu müssen in die Kämpfe hineingezogen zu werden. Sie arbeiteten gemeinsam einen Plan aus, um aus Syrien zu entkommen und ein Leben in Sicherheit zu finden. Weil es keine sichere Alternativen gab, wendeten sich die Männer an Schlepper. Sie hatten nicht genug Geld, um für alle zwölf Familienmitglieder zu zahlen. So beschlossen sie, dass zunächst nur die Männer gehen. Nachdem die Männer die Stadt verlassen hatten, zogen die drei Frauen Fatima, Zaha und Iman in eine gemeinsame Wohnung. Im Januar dieses Jahres ging es dann nicht mehr. Aus Syrien zu fliehen wurde zur einzigen Option. „Raketen schlugen immer und immer wieder ein, viele Menschen starben. Wir hatten große Angst um unsere Kinder“, erzählt die 41-jährige Iman.
“Unsere Häuser wurden bombardiert, fügt Zaha, 35, hinzu. „Wir haben bei Freunden gewohnt, sind mal hier und mal dort untergekommen. Unsere größte Angst war es, dass unsere Kinder verletzt oder gar getötet werden. Wir konnten nicht dort bleiben und zusehen wie sie in diesem Horror aufwachsen.“ Die drei Frauen und ihre sechs Kinder machten sich also auf den Weg, zunächst mit einem Bus nach Idlib, eine Stadt nahe der türkischen Grenze.
„Wir konnten nicht zurück nach Syrien. Nichts hielt uns mehr dort.“
In Idlib haben ihnen die Schlepper gesagt, dass die einzige Möglichkeit in die Türkei zu gelangen ein neunstündiger Marsch durch die Berge sei. In einer kalten Januarnacht marschierten sie über schlammigen Boden. Fatima, die im siebten Monat schwanger war, fiel als sie einen steinigen Weg hinaufstieg. Sie machten trotzdem keinen Halt bis sie in der Türkei ankamen. „Auf dem Weg wurden wir angebettelt nicht weiter zu gehen aus Rücksicht auf die Kinder. Aber gerade wegen der Kinder mussten wir gehen“, sagt Iman.
Als sie endlich die türkische Küste erreichten, war das Wetter zu schlecht, um per Boot nach Griechenland überzusetzen. Nach einer Woche wurde die See ruhiger und die Frauen entschieden sich zur Überfahrt. Es war Mitternacht und die Schlepper erwarteten sie. Sie stiegen in das einfache Boot und fuhren in die Dunkelheit hinein. „Ich betete, dass uns jemand retten würde“, sagt Fatima.
Fatimas Gebete wurden erhört. Ein Rettungsboot entdeckte sie in griechischen Gewässern, brachte sie auf die Insel Samos und von dort aus weiter nach Athen. Die Familie erreichte das europäische Festland zu der Zeit, als Grenzzäune entlang der sogenannten Balkan-Route errichtet wurden. An der Grenze teilte ihnen die serbische Polizei mit, sie könnten das Land nicht verlassen.
Während Zaha und Iman mit dem Wachpersonal der Übergangsunterkunft diskutierten, platze Fatimas Fruchtblase. Die Zwillinge wurden durch einen Notkaiserschnitt zur Welt gebracht. „Nach 15 Tagen war Fatima in der Lage das Krankenhaus zu verlassen“, sagt Iman. „Wir mussten einfach zu unseren Ehemännern.“
Sie warteten wieder bis es Nacht wurde. Iman, Zaha, Fatima und ihre Kinder fuhren in drei Taxis bis zur ungarischen Grenze. Dort stießen sie auf Stacheldrahtzaun. Als die Dämmerung über der wartenden Menge hereinbrach, ließen die Wächter sie durch. In dieser Nacht fanden sie ein Taxi, das sie nach Wien brachte. Von dort nahmen sie einen Zug nach Süddeutschland.
In den darauffolgenden Wochen zogen die drei Frauen in verschiedene Unterkünfte in Dresden, wo sie für ihr Asylverfahren registriert wurden. Ihre Ehemänner kamen aus ihrer Unterkunft in Düsseldorf, ganz im Westen des Landes, zu Besuch. Es war das erste Mal nach einem Jahr, dass die Kinder ihre Väter sehen konnten.
Die Familienzusammenführung hat sowohl Vorteile für das Aufnahmeland als auch für die betroffenen Personen, sagt UNHCR-Vertreterin in Deutschland, Katharina Lumpp. „Familienzusammenführung ist wichtig, damit Familienmitglieder im Aufnahmeland ankommen können und nicht aus Sorge um die Familie an einem Neustart gehindert werden.“
Ein Glücksfall brachte die Familie näher zu ihrem langersehnten Ziel. Im Mai wurde den Frauen mitgeteilt, dass sie ihre Unterkunft wechseln können. Ein Bus brachte sie in ein kleines Dorf im Süd-Westen Dresdens, zu einem Haus, das sie jetzt Zuhause nennen.
“Es ist sehr wichtig, die Neuankömmlinge auch in ländlichen Regionen unterzubringen und Integration auf einer kleineren und persönlicheren Ebene zu beginnen.”
Die beiden Freiwilligen, die das alte Bauernhaus renovieren ließen, stehen jetzt im Garten. Sarah Brendel und ihr Mann Stevi sind die Mitbegründer von Refugeeum, ein Projekt, das Asylsuchende und Flüchtlinge unterstützt und ihnen einen Zufluchtsort bietet. Ihr Ziel ist Integration auch in ländlichen Regionen im Osten Deutschlands zu ermöglichen. Mehrfach geriet die Region durch Anti-Flüchtlingsproteste in die internationalen Schlagzeilen. “Es ist sehr wichtig, die Neuankömmlinge auch in ländlichen Regionen unterzubringen und Integration dort auf einer kleineren und persönlicheren Ebene zu beginnen”, sagt Sarah. „Dann kann man auch in den Köpfen der Nachbarn etwas verändern. Sie merken dann, dass die neuen Familien eigentlich ganz nett sind.“
Für Fatima und ihre Familie ist die Erleichterung groß endlich in Frieden zu leben und als Familie wieder vereint zu sein. „Wären wir in Syrien geblieben, hätten wir sehr wahrscheinlich jemanden verloren“, sagt Iman. „Wir sind unendlich dankbar, dass unsere Kinder mit ihren Vätern groß werden können.“ Fatima fügt abschließend hinzu: „Ich bin so glücklich, dass wir es geschafft haben. Es fühlt sich gut an zu wissen, dass die ganze Familie jetzt hier ist und in Sicherheit lebt. Jetzt möchte ich nur all die Gelegenheiten ergreifen, die sie in Syrien verloren haben.“
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