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Weibliche Flüchtlinge und Migrantinnen sind verstärkt von Risikoschwangerschaften betroffen. Der Verein Mamamundo unterstützt die Betroffenen in dieser besonderen Lebensphase.
In der Mitte eines bunten, mit Yogamatten und Stillkissen übersäten Raumes richtet sich eine Hebamme auf Deutsch an eine Gruppe von Frauen, deren Schwangerschaft bereits mehr als sechs Monate fortgeschritten ist. Den Frauen stehen zwei Dolmetscher zur Seite, die das Gesagte ins Arabische und Suaheli übertragen. Es geht um den Ablauf eines Kaiserschnitts, Rückenübungen und ums Stillen. Während des zweistündigen Kurses kommen viele Fragen auf: Kann ich in der Stillzeit scharfe Nahrung zu mir nehmen? Woher weiss ich, wann mein Baby Hunger hat? Was sind die Vor- und Nachteile einer Periduralanästhesie (Betäubung der Wirbelsäule) bei der Entbindung? Zwischen den Fragen finden Dehnungs- und Entspannungsübungen statt.
Die Hebamme Anja Hurni leitet solche Kurse für Schwangere in Bern seit 2012. Zunächst unter der Schirmherrschaft des Schweizerischen Roten Kreuzes und dann zusammen mit dem Verein Mamamundo, den sie 2016 gemeinsam mit Doris Wyssmüller ins Leben gerufen hat. Das Angebot ist aus einer Notwendigkeit heraus entstanden: „Alle Hebammen, die in einer Geburtsabteilung arbeiten, haben bemerkt, dass Flüchtlinge und Migrantinnen oft nicht ausreichend über Entbindung und Mutterschaft informiert sind“, erklärt Anja Hurni. „Aufgrund der Sprachbarriere und eines erschwerten Zugangs zu Informationen kommt es zu Verständnisproblemen, die unter anderem die Symptome betreffen. Die Frauen erhalten somit entweder eine Über- oder Unterbehandlung.“
Laut einer Studie des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2014 gibt es hier einen grossen Unterschied zwischen Ausländerinnen und Schweizerinnen. Die Müttersterblichkeit lag demnach im Zeitraum 2002-2013 bei Ausländerinnen im Vergleich zu Schweizerinnen um etwa 25 Prozent höher. Junge Mütter aus Subsahara-Afrika und Asien wurden darüber hinaus häufiger in die Notaufnahme eingeliefert. Die Totgeburtenrate (Tod des Fötus ab der 22. Schwangerschaftswoche) und die Kindersterblichkeit waren bei Kindern von Müttern aus Ländern südlich der Sahara und der Türkei ebenfalls höher.
Um diesem Missstand entgegenzuwirken, bietet Mamamundo sieben Geburtsvorbereitungskurse (einer findet nach der Geburt statt) in zwölf Sprachen an. „Wir begleiten diese Frauen während der Schwangerschaft – oder auch bei der Entbindung – durch emotionalen Beistand und beraten sie bei Fragen rund um ihren Körper und anderen medizinischen Aspekten“, betont Anja Hurni. „Wenn es um die Gesundheit geht, müssen sie sich wohl in ihrem Körper fühlen und bei Bedarf handeln.“ Die werdenden Mütter lernen so, wie sie Wehen erkennen und wann sie zur Entbindungsstation fahren müssen. Sie werden ausserdem über die Alarmsignale bei ihrem künftigen Baby wie Erbrechen und Durchfall unterrichtet.
„Es ist beruhigend, dass ich einer Fachfrau Fragen in meiner Muttersprache stellen kann.“
Jangchup aus Tibet, die seit 2012 in der Schweiz lebt, blickt jetzt entspannter in die Zukunft. „Ich erwarte mein erstes Kind und ich wusste bevor ich den Kurs begann nicht richtig über alles Bescheid“, räumt die 34-Jährige ein, die im sechsten Monat schwanger ist. „Es ist beruhigend, dass ich Informationen einholen und einer Fachfrau Fragen in meiner Muttersprache stellen kann.“
Tsering, die ebenfalls aus Tibet stammt, hat von ihrer Sozialassistentin von Mamamundo erfahren. „Bei dem Angebot musste ich nicht lange überlegen“, meint die 35-jährige Flüchtlingsfrau, die ebenfalls im sechsten Monat schwanger ist, ganz begeistert. „Zu Beginn meiner Schwangerschaft wachte ich in der Nacht auf, weil ich Angst hatte, mein Kind zu verletzen. Die Erleichterung war unheimlich gross, als mir die Hebamme von Mamamundo beim ersten Kurs versicherte, dass ich mir keine Sorgen machen zu brauche, wenn ich mich in einer bestimmten Position wohlfühle.“
Ziel des Vereins ist es auch, ein Netzwerk aufzubauen, um die Flüchtlinge und Migrantinnen in der Schwangerschaft vor sozialer Isolation zu schützen. Samira*, eine werdende 28-jährige Mutter aus Eritrea, die mit 21 Jahren in die Schweiz kam, schätzt den Kontakt zu den anderen Teilnehmerinnen. „Wir haben eine WhatsApp-Gruppe zum Informationsaustausch“, erklärt die Flüchtlingsfrau. „Damit möchten wir zu Hause umsetzen, was wir im Kurs gelernt haben.“ Auch Tsering ist vom Konzept überzeugt: „Wir stammen alle aus anderen Kulturen und haben jeweils mit anderen Herausforderungen zu kämpfen, doch wir können uns leicht in die anderen hineinversetzen.“
Es ist auch eine Möglichkeit gegen das Heimweh anzukämpfen. „In Tibet würde unsere Schwangerschaft ganz anders verlaufen“, berichten Tsering und Jangchup, die in einem Reinigungsunternehmen und einem Restaurant arbeiten: „Auch im schwangeren Zustand würden wir zu Hause und auf dem Feld mitanpacken und unsere Mütter und Grossmütter würden uns während dieser aussergewöhnlichen Zeit zur Seite stehen.“ Auf diesen familiären Rückhalt müssen sie im Exil notgedrungen verzichten, doch sie konzentrieren sich lieber auf die positiven Aspekte: „In der Schweiz bekommen wir regelmässige medizinische Kontrolluntersuchungen und können die Kurse von Mamamundo besuchen. Die Lehrerin übernimmt für uns eine Art Mutterrolle.“
„In Tibet würde unsere Schwangerschaft ganz anders verlaufen: Auch im schwangeren Zustand würden wir zu Hause und auf dem Feld mitanpacken und unsere Mütter und Grossmütter würden uns während dieser aussergewöhnlichen Zeit zur Seite stehen.“
Manchmal müssen sich die Hebammen mit schwerwiegenderen Problemen auseinandersetzen, wie im Fall von Frauen, die auf der Flucht traumatische Erlebnisse erlitten: „Es kommt vor, dass wir Frauen betreuen, die stark von ihrer Flucht mitgenommen sind und darüber sprechen möchten“, erklärt Anja Hurni. „Auf Anfrage organisieren wir speziell für betroffene Frauen und Paare Module zur individuellen Geburtsvorbereitung oder bieten auch die Möglichkeit, im ganz kleinen Rahmen sensible Themen wie Genitalverstümmelung anzusprechen.“
Samira* sieht die finanzielle Unterstützung für die Ärmsten der Bevölkerung als weiteren Vorteil des Programms an. „Ich finde es sehr gut, dass Mamamundo Frauen dieses Angebot ermöglicht, die es sich sonst nicht leisten könnten“, meint die Coiffeuse im achten Schwangerschaftsmonat. Teilnehmerinnen mit einem einzigen Haushaltseinkommen bezahlen 60 Franken, bei zwei Einkommen liegt der Beitrag bei 200 Franken. „Die Kosten für Familien ohne Einkommen werden häufig von der Sozialhilfe abgedeckt“, erklärt Anja Hurni. „Mindestens 70 Prozent der Teilnehmerinnen stammen aus sozial benachteiligten Haushalten.“ Zur Finanzierung des gesamten Programms erhält der Verein Unterstützung vom Kanton Bern sowie der Gesundheitsförderung Schweiz. Auch die Krankenkassen überweisen jeder Teilnehmerin einen Betrag von 150 Franken.
Die Anzahl Teilnehmerinnen nimmt kontinuierlich zu. Im letzten Jahr haben über 140 Frauen aus 35 Ländern das Angebot wahrgenommen. Das Programm erfreut sich inzwischen auch in anderen Regionen einer gewissen Beliebtheit: Ein ähnliches Angebot wurde in Biel/Bienne (BE) eingerichtet und ein weiteres dürfte bald in Thun (BE) lanciert werden. Die Kantone Basel-Stadt, Baselland und Luzern haben sich Mamamundo als Vorbild genommen und bieten mittlerweile ebenfalls Kurse dieser Art an. Auch die Kantone Zürich und Solothurn haben Interesse daran geäussert, derartige Kurse in der Region auszurichten. Diese Initiativen werden schrittweise die Gesundheit von schwangeren Flüchtlingsfrauen und Migrantinnen verbessern.
*Der Name wurde aus Sicherheitsgründen geändert.
Effektiver Zugang zu medizinischer Versorgung ist ein Menschenrecht und ein wichtiger Bestandteil des Flüchtlingsschutzes. Dies setzt eine Betreuung voraus, die an die besondere Situation von Flüchtlingen angepasst ist. Zu berücksichtigen ist bei schwangeren Flüchtlingsfrauen insbesondere, dass sie von ihrer Familie getrennt, möglicherweise traumatisiert oder in manchen Fällen sogar Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sind.
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