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Seit mehreren Jahren wird in Zürich im Rahmen der Restrukturierung des Asylbereichs ein beschleunigtes Asylverfahren getestet. Es garantiert den Asylsuchenden von Anfang an kostenlosen juristischen Beistand. Der Asylantrag von Omar Ahmat aus dem Sudan zeigt allerdings verbleibende Herausforderungen.
Das Staatssekretariat für Migration wollte Omar Ahmat dem Kanton Luzern zuweisen. Dass er heute immer noch in Zürich wohnt, hat mit dem Engagement seines Rechtsvertreters Joël Müller zu tun. Der Rechtsanwalt arbeitet seit etwas mehr als zwei Jahren im Verfahrenszentrum für Asylsuchende im Westen von Zürich, gleich neben dem Toni Areal. Das Zentrum wurde Anfang 2014 geschaffen und fungiert als Test für das sogenannte beschleunigte Asylverfahren, welches ab 2019 schweizweit gelten wird. Ziel ist es dabei, Asylanträge effizienter, aber auch fairer als bisher zu bearbeiten. Gemäss Einschätzungen vom Jahr 2016 werden die Asylverfahren im Verfahrenszentrum Zürich durchschnittlich 39 Prozent schneller als im vorherigen Verfahren abgeschlossen.
Im Moment laufen somit in der Schweiz zwei Systeme parallel: das traditionelle Asylverfahren und das neue Testverfahren in Zürich – und seit April 2018 auch in Boudry (NE). Welcher Asylsuchende in welches Verfahren kommt, wird im Zufallsprinzip entschieden. Vor allem zwei Faktoren sollen das Verfahren beschleunigen: Zum einen die Konzentration der in den Asylentscheid involvierten Akteure an einem einzigen Ort. Zum anderen die Herabsetzung der Beschwerdefrist gegen einen Asylentscheid von 30 auf 10 Tage. Als Kompensation für den schnellen Ablauf und die verkürzten Beschwerdefristen haben die Asylsuchenden von Anfang an Zugang zu kostenloser Beratung sowie einer persönlichen Rechtsvertretung. Wichtig ist im neuen Verfahren ausserdem die Triage, die vom Staatssekretariat für Migration (SEM) vorgenommen wird: einfache Anträge sollen im neuen und getakteten Verfahren schnell bearbeitet werden, komplexere werden in das erweiterte Verfahren überwiesen.
„Es war sehr schwierig für mich, über meine Erlebnisse zu sprechen. Die Anwesenheit von Herrn Müller hat mir sehr geholfen und Sicherheit gegeben.“
Omar Ahmat erläutert, wie ihn der Beistand von Joël Müller bei den offiziellen Anhörungen des SEM unterstützt hat.
Der 26-jährige Omar Ahmat ist einer der Asylsuchenden, dessen Gesuch im Testbetrieb bearbeitet wurde. Mitte 2016 ist er in die Schweiz gekommen. Es ist nicht seine erste Station: 2012 floh er nach Israel, wo er schlussendlich in der Landwirtschaft arbeitete. Ende 2015 wurde er von den dortigen Behörden vor die Wahl gestellt: unbefristete Internierung in einem geschlossenen Lager oder Rückreise in den Sudan mit 3’500 Dollar Rückkehrhilfe. Am Flughafen der Hauptstadt Khartum wurde ihm das Geld abgenommen und er wurde als angeblicher israelischer Spion verhaftet. Zwei Monate verbrachte er daraufhin im Gefängnis, wo er gemäss seinen Angaben mehrfach misshandelt wurde. Als er für eine Woche freikam, um seine Familie zu besuchen, verliess er sein Heimatland erneut und floh nach Libyen. Von dort aus unternahm er einige Wochen später mit einem Boot die gefährliche Überfahrt nach Italien. Nach ein paar Tagen dort stieg er in einen Zug nach Chiasso, wo er beim Grenzwachtkorps um Asyl ersuchte. „In Italien wollte ich nicht bleiben: Ich sah zu viele Migranten, die auf der Strasse lebten und nichts zu tun hatten“, erzählt Omar Ahmat.
Im Juni 2016 lernt er Joël Müller kennen, nachdem ihm dieser im Testbetrieb Zürich als sein Rechtsvertreter zugewiesen wurde. „Eine meiner Aufgaben ist es, die Flüchtlinge möglichst von Anfang über ihre Rechte und Chancen im Asylverfahren aufzuklären“, sagt er. Dazu gehört auch, dass die RechtsvertreterInnen ihre Mandanten zu der offiziellen Anhörung des SEM, das sich im Zürcher Verfahrenszentrum ein Stockwerk über den Räumlichkeiten der Rechtsvertretung befindet, begleiten. Für die Asylsuchenden ein entscheidender Schritt, von dem der weitere Verlauf ihres Verfahrens abhängt. „Ich habe in diesem Gespräch viel Druck verspürt. Es war sehr schwierig für mich, über meine Erlebnisse zu sprechen. Die Anwesenheit von Herrn Müller hat mir sehr geholfen und Sicherheit gegeben“, erinnert sich Omar Ahmat.
Die Anhörung lief allerdings anders als erwartet. Anstelle eines schnellen Entscheides wurde Omar Ahmats Fall in das sogenannte erweiterte Verfahren zugewiesen. Das SEM begründete dies mit der Notwendigkeit, weitere Abklärungen zu tätigen. Mit der Zuweisung wäre Joël Müllers Rechtsvertretungsmandat eigentlich beendet gewesen, da die Rechtsvertretung derzeit nur für das beschleunigte Verfahren vorgesehen ist. Zudem werden Asylsuchende im erweiterten Verfahren auf die Kantone verteilt, was für Omar Ahmat einen Transfer nach Luzern bedeutet hätte.
Joël Müller setzte sich aber dafür ein, dass Omar Ahmat nicht in den Kanton Luzern zugewiesen wurde. Der Rechtsvertreter brachte mit medizinischen Gutachten vor, dass Omar Ahmat Misshandlungen erlebt habe und traumatisiert sei. Da er sich aufgrund seiner Traumatisierung in einer spezialisierten psychiatrischen Behandlung befand, welche nur in Zürich angeboten wurde, konnte der Rechtsvertreter erreichen, dass Omar Ahmat in der Stadt Zürich verbleiben konnte. Aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses und der erhöhten Verletzlichkeit von Omar Ahmat behielt der Rechtsvertreter sein Vertretungsmandat auch im erweiterten Verfahren.
„Im erweiterten Verfahren werden auch inskünftig die Rechtsberatungsstellen eine wichtige Funktion übernehmen.“
Joël Müller betont die Notwendigkeit eines juristischen Beistandes jenseits des beschleunigten Asylverfahrens.
Ein Jahr später, im Juli 2017, folgte ein negativer Asylentscheid, wobei Omar Ahmat aus humanitären Gründen vorläufig aufgenommen wurde. Im Rahmen eines Beratungsgespräches erläuterte der Rechtsanwalt Omar Ahmat unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers die wesentlichen Argumentationslinien und Chancen einer Beschwerde. Sie entschlossen sich, gegen den Asylentscheid Beschwerde einzulegen, wobei das Urteil noch aussteht.
„Das neue Verfahren hat Vorteile, vor allem den systematischen juristischen Beistand, den die Asylsuchenden von Anfang an bekommen. Es stösst jedoch gegenwärtig an Grenzen, sobald ein Asylsuchender in das erweiterte Verfahren transferiert wird. Im erweiterten Verfahren werden auch inskünftig die Rechtsberatungsstellen eine wichtige Funktion übernehmen.“, sagt Joël Müller. Dass Joël Müller das Mandat betreffend Omar Ahmat im erweiterten Verfahren behalten hat, bedeutet für ihn eine Ausnahme, welche mit guten Gründen belegt sein muss – denn jeden Tag kommen einige Dutzende Klienten zu den 12 RechtsvertreterInnen ins Zürcher Verfahrenszentrum. Umso wichtiger ist es, dass ab 2019 alle Asylsuchenden auch im erweiterten Verfahren unabhängig davon, wo sie sind, eine kostenlose Beratung und Rechtsvertretung beanspruchen können.
Omar Ahmat selbst versucht in der Zwischenzeit, in der Schweiz heimisch zu werden. Er wohnt in einer Einzimmerwohnung und teilt sich mit drei anderen Bewohnern Bad und Küche. Wenn er nicht im Sprachkurs ist, um Deutsch zu lernen – er spricht neben Arabisch aufgrund seiner Zeit in Israel auch fliessend Hebräisch – dann ist er im städtischen Alterszentrum Mathysweg in Altstetten, wo er ein Praktikum absolviert. Ihm ist es wichtig, beschäftigt zu sein, denn wenn er alleine ist, muss er zu oft an seine Erlebnisse im Sudan und auf der Flucht denken. Und er hat langfristige Ziele: „Mein Traum ist es, eine Ausbildung zum Pfleger zu machen und hier zu leben, wie ein Schweizer.“
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