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Die Hälfte der geflüchteten Kinder ist nicht in der Schule. Der neue UNHCR-Bildungsbericht zeigt, dass Covid-19 droht, die jahrelangen Bemühungen im Bereich der Flüchtlingsbildung zurückzuwerfen.
Das Coronavirus bedroht massiv die Schulbildung und damit die Zukunft von Millionen von Flüchtlingskindern. Wenn die Weltgemeinschaft nicht sofort umfassende Schritte gegen die Folgen der Covid-Pandemie ergreife, sei das Potential der jüngsten Generation in einigen der labilsten Regionen der Welt in Gefahr, hieß es am Donnerstag vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zur Veröffentlichung des jährlichen Bildungsberichts.
Zwar haben auf der ganzen Welt Schüler unter den Auswirkungen der Pandemie auf ihre Bildung gelitten, geflohene Kinder sind aber noch zusätzlich benachteiligt. Vor der Pandemie war die Wahrscheinlichkeit, dass ein Flüchtlingskind keine Schule besuchen kann, doppelt so hoch wie die eines anderen Kindes. Dieses Ungleichgewicht wird sich jetzt noch weiter verstärken und viele Flüchtlingskinder werden nicht zum Unterricht zurückzukehren können. Gründe sind zum einen Schulschließungen, fehlender Zugang zu Technologien oder Kosten für Unterricht, Schuluniformen und Bücher. Zudem führt der Bericht mit dem Titel „Coming Together for Refugee Education“ („Zusammen für die Bildung von Flüchtlingen“) auf, dass Flüchtlingskinder oft arbeiten müssten, um für den Unterhalt der Familien beizutragen.
„Vor Corona konnte schon die Hälfte aller Flüchtlingskinder nicht zur Schule gehen“, sagte Filippo Grandi, Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge. „Nach allem, was sie durchgemacht haben, können wir ihnen nicht auch noch die Zukunft nehmen, indem wir ihnen heute ihre Bildung verweigern. Trotz der enormen Herausforderungen, die die Pandemie mit sich bringt: Mit größerer internationaler Unterstützung für Flüchtlinge und ihre Aufnahmegemeinschaften können wir innovative Wege gehen, um die entscheidenden Errungenschaften der letzten Jahre in der Flüchtlingsbildung zu bewahren.“ Ohne diese Unterstützung könnte der stetige, hart erkämpfte Anstieg der Einschreibungen in Schulen, Universitäten und in der technischen und beruflichen Bildung wieder wegbrechen – in einigen Fällen dauerhaft. Das würde auch Ziel 4 der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung, Bildung von hoher Qualität für alle, gefährden.
„Auch in Deutschland hat die Pandemie deutliche Auswirkung auf die Bildung von Flüchtlingskindern“, sagte Frank Remus, Repräsentant von UNHCR in Deutschland. Zwar würden die Kinder in der Regel relativ rasch Zugang zur Schule bekommen und auch in der Berufs- und Hochschulbildung haben mittlerweile viele junge Flüchtlinge Fuß fassen können. „Aber die Einschränkungen durch die Pandemie haben Flüchtlingskinder viel härter getroffen. Seit März sind zwar aufgrund der bundesweiten Schulschließungen viele innovative digitale Angebote entstanden, um Bildungszugang zu ermöglichen. Kinder aus Flüchtlingsfamilien haben aber oftmals die notwendigen technischen Tools für diese Unterrichtsformen nicht zur Verfügung, keinen ruhigen Platz zum Lernen, und die Eltern können aufgrund von Sprachbarrieren oder dem eigenen Bildungshintergrund nicht ausreichend Unterstützung anbieten. Eine gezielte Förderung, um Versäumtes aufholen zu können, ist deshalb auch in Deutschland wichtiger denn je.“
In einem kraftvollen Schlusswort des Berichts schrieb Mohamed Salah, Weltklasse-Fußballer und Botschafter von UNHCR und der Vodafone-Stiftung für das Instant Network Schools: „Wenn wir uns heute um eine hochwertige Bildung kümmern, bedeutet das weniger Armut und Leid morgen. Wenn nicht jeder seinen Teil dazu beiträgt, werden Generationen von Kindern – Millionen von ihnen in einigen der ärmsten Regionen der Welt – einer düsteren Zukunft entgegensehen. Aber wenn wir als Team zusammenspielen, als Einheit, können wir ihnen die Chance auf die würdevolle Zukunft geben, die sie verdienen. Lassen wir uns diese Chance nicht entgehen!“
Die Daten des Jahres 2019 im Bericht basieren auf Berichten aus zwölf Ländern, die mehr als die Hälfte der Flüchtlingskinder der Welt beherbergen. Während 77 Prozent in der Grundschule eingeschrieben sind, sind nur 31 Prozent der Jugendlichen in der Sekundarschule eingeschrieben. Auf der Ebene der Hochschulbildung sind nur 3 Prozent der Flüchtlingsjugendlichen vertreten.
Weit hinter den globalen Durchschnittswerten zurückliegend, stellen diese Statistiken dennoch einen Fortschritt dar. Die Einschreibungszahlen in der Sekundarstufe stiegen mit Zehntausenden von Flüchtlingskindern, die neu zur Schule gingen; allein im Jahr 2019 war ein Anstieg um zwei Prozent zu verzeichnen. Die COVID-19-Pandemie droht nun jedoch, diesen und andere entscheidende Fortschritte zunichte zu machen.
Für Flüchtlingsmädchen ist die Situation besonders schwerwiegend. Sie haben bereits jetzt weniger Zugang zu Bildung als Jungen und die Wahrscheinlichkeit, dass sie in der Sekundarstufe in die Schule gehen, ist nur noch halb so hoch. Auf der Grundlage von UNHCR-Daten schätzt der Malala-Fonds, dass infolge von COVID-19 die Hälfte aller Flüchtlingsmädchen in der Sekundarschule nicht mehr zurückkehren wird, wenn die Klassenräume in diesem Monat wieder geöffnet werden. In Ländern, in denen die Beteiligung von Flüchtlingsmädchen in der Sekundarstufe bereits unter zehn Prozent lag, besteht für alle Mädchen die Gefahr, dass sie die Schule für immer abbrechen – eine erschreckende Prognose, die sich auf die kommenden Generationen auswirken würde.
„Ich bin besonders besorgt über die Auswirkungen auf Flüchtlingsmädchen. Bildung ist nicht nur ein Menschenrecht. Sie gibt auch Schutz und wirtschaftliche Vorteile für die Mädchen, ihre Familien und ihre Gemeinschaften, das liegt klar auf der Hand. Die internationale Gemeinschaft kann es sich einfach nicht leisten, ihnen nicht die Chancen zu bieten, die ihnen Bildung geben kann“, sagte Grandi.
Die Corona-Beschränkungen waren für die 85 Prozent der Flüchtlinge, die in Entwicklungsländern leben, besonders schwierig. Mobiltelefone, Tablets, Laptops, Internet und sogar Radios sind für die vertriebenen Gemeinschaften oft nicht ohne weiteres verfügbar. UNHCR, Regierungen und Partner arbeiten unermüdlich daran, kritische Lücken zu überbrücken und die Kontinuität der Flüchtlingsbildung während der Pandemie durch vernetztes Lernen, Fernsehen und Radio sowie durch die Unterstützung von Lehrern und Betreuern bei der Zusammenarbeit mit Schülern unter Einhaltung der Gesundheitsrichtlinien zu gewährleisten.
Der Bericht zeigt, wie Familien, Gemeinden und Regierungen daran arbeiten, Flüchtlingskindern Bildung zu ermöglichen. Er zeigt positive Beispiele von Regierungen, die das Recht von Flüchtlingskindern auf den Besuch staatlicher Schulen, etwa in Ecuador und Iran, gesetzlich verankert haben. Andere Beispiele sind digitale Innovationen vom ägyptischen Bildungsminister und von einer Familie in Jordanien, die vom Übergang zum Online-Lernen profitiert hat. Da mehr als die Hälfte der Flüchtlinge auf der Welt in Städten lebt, wird die Bedeutung von Städten zur Aufnahme von Flüchtlingen unterstrichen, wobei der Bürgermeister des englischen Coventry darlegt, wie die Stadt verwaltet wird und warum dies sinnvoll ist.
Der Bericht fordert die Regierungen, den Privatsektor, die Zivilgesellschaft und andere wichtige Interessengruppen auf, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die nationalen Bildungssysteme müssen gestärkt und zertifizierte Ausbildungen ermöglicht werden. Zudem ist die Finanzierung der Bildung zu sichern. Ohne ein solches Vorgehen, warnt der Bericht, riskieren wir eine verlorene Generation von Flüchtlingskindern, denen die Bildung vorenthalten wird.
Die Risiken für die Bildung von Flüchtlingen hören mit Corona nicht auf. Angriffe auf Schulen sind eine düstere und wachsende Realität. Der Bericht konzentriert sich auch auf die Sahelzone Afrikas, wo Gewalt die Schließung von mehr als 2.500 Schulen erzwungen hat, was die Bildung von 350.000 Schülern beeinträchtigt.
Den ganze Bericht und weiteres Material kann auf der Medienseite abgerufen werden.
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