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Kedija (15) und Yonas (12) überlebten eine Entführung, Inhaftierung und einen erfolglosen Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, bevor sie endlich wieder mit ihrer Mutter in der Schweiz vereint waren.
Zuvor waren die beiden eritreischen Geschwister – erst 12 und 15 Jahre alt – aus ihrem Heimatland geflohen. Sie überlebten alleine in einem äthiopischen Flüchtlingslager, wurden entführt und schafften es auf ein Boot in Richtung Europa, nur um dann abgefangen und wieder zurück nach Libyen gebracht zu werden.
Aber Dank der Hartnäckigkeit ihrer Mutter Semira, der Intervention von Regierungen und humanitären Organisationen – und vor allem großem Glück – sind die Kinder nun in der Schweiz wieder mit ihrer Mutter vereint.
„Ich habe die Hoffnung nie aufgegeben, meine Kinder wiederzusehen.“
„Obwohl wir mehr als acht Jahre getrennt waren, habe ich die Hoffnung nie aufgegeben, meine Kinder wiederzusehen“, sagte Semira und drückte ihre Kinder fest an sich, als ob sie immer noch verschwinden könnten, während ihr Tränen der Freude und der Erleichterung über das lächelnde Gesicht liefen.
Für UNHCR, die UN-Flüchtlingsorganisation, fing alles mit einem Telefonanruf im libyschen UNHCR-Büro an. Der Anruf kam vom Internationalen Sozialdienst Schweiz (SSI), einer auf Kinderschutz spezialisierten NGO mit Sitz in der Schweiz, die von Semira um Hilfe gebeten wurde.
Man wusste nur die Namen der Kinder und, dass sie irgendwo in Libyen festgehalten wurden. Mit einem veralteten Foto ausgestattet, begannen UNHCR-MitarbeiterInnen und ihre NGO-Partner jedes einzelne Internierungslager zu durchsuchen, zu der sie Zugang hatten.
Die Chance sie zu finden war jedoch verschwindend gering. Schätzungen zufolge werden momentan 3.800 Flüchtlinge und Asylsuchende in Dutzenden Internierungslagern im ganzen Land festgehalten. Andere fallen bewaffneten Gruppen und Menschenhändlern in die Hände.
Als UNHCR-Mitarbeiter Noor Elshin im Internierungslager Karareem in Misrata auf zwei abgemagerte und bleiche Kinder stieß, ähnelten sie den zwei glücklichen und gesunden Kindern auf dem Foto so wenig, dass es für ihn ein Schock war herauszufinden, dass er Kedija und Yonas tatsächlich gefunden hatte.
„Das war wortwörtlich wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen“, sagte Noor. „Obwohl ich sie direkt vor mir hatte, konnte ich es immer noch nicht fassen, dass wir sie tatsächlich gefunden hatten.“ Kurz darauf bekam Semira den lang ersehnten Anruf – ihre Kinder waren gefunden worden.
Die Odyssee der Familie begann 2010 als Semira gezwungen war, vor Verfolgung aus Eritrea zu fliehen. Anstatt ihre Kinder in eine ungewisse Zukunft mitzunehmen, traf sie die schwierige Entscheidung, sie bei ihren Grosseltern zu lassen während sie einen sicheren Ort für die Familie suchte.
Nach fünf Jahren relativer Stabilität waren Kedija und Yonas 2015 selber gezwungen, der unsicheren Lage in Eritrea zu entfliehen und die Grenze nach Äthiopien zu überqueren. Mehrere Monate lang hatte Semira keinen Kontakt zu ihren Kindern. Währenddessen suchte ihr Bruder in Äthiopien verzweifelt nach seiner Nichte und seinem Neffen.
Er fand sie schließlich alleine in einem Flüchtlingslager in der Nähe der äthiopischen Grenze zu Eritrea und versprach alles in seiner Macht stehende zu tun, um sie mit ihrer Mutter zu vereinen, die in der Zwischenzeit in der Schweiz Schutz gefunden hatte.
Mitte 2017 begannen die Kinder und ihr Onkel ihre gefährliche und ungewisse Reise in Richtung Schweiz. Die drei überstanden intensive Hitze, Hunger und Durst während sie mit Lastwagen und Bussen durch Äthiopien und den Sudan reisten – immer mit dem Ziel, die Südküste des Mittelmeers zu erreichen.
Doch die Geschichte nahm an der Grenze zwischen dem Sudan und Libyen eine unglückliche Wendung als die Gruppe brutal von Menschenhändlern entführt wurde. Die Entführer fanden heraus, dass die Mutter der Kinder in der Schweiz lebte und forderten Lösegeld von ihr.
Semira hatte jedoch keine Möglichkeit, die finanziellen Forderungen der Entführer zu erfüllen. Kedija und Yonas – eingeschüchtert und verletzlich wie noch nie – wurden daraufhin von ihrem Onkel getrennt und von einem Kinderhändler zum nächsten weiterverkauft.
Eines Tages, nach mehreren Wochen in dieser schrecklichen Situation, wurden die Geschwister dann völlig unerwartet freigelassen und in der weiten libyschen Wildnis ihrem eigenen Schicksal überlassen. Wie durch ein Wunder wurden sie von einer Gruppe Eritreer gefunden und aufgenommen, die auch das Ziel verfolgten, per Boot Europa zu erreichen. Sie versprachen den Kindern, sie mitzunehmen.
Nachdem das Boot abgefangen und die Kinder zurück nach Libyen gebracht und dort inhaftiert wurden, hatten sie die Möglichkeit, ihre Mutter anzurufen. Zu diesem Zeitpunkt war sie verrückt vor Sorge. „Ich verbrachte Tage und Nächte, für sie zu beten, obwohl alle Leute um mich herum begannen, die Hoffnung zu verlieren. Bis zu diesem Tag, als ich die Stimme meiner Tochter hörte – zum ersten Mal seit mehreren Monaten“, erinnerte sich Semira.
Plötzlich fielen acht Jahre der Sorgen und der Sehnsucht von ihr ab.
Nachdem UNHCR die Kinder aufgespürt hatte, erklärte sich die Schweizer Regierung dazu bereit, ihnen humanitäre Visa bereitzustellen, um sie mit ihrer Mutter zusammenzubringen. UNHCR arbeitete mit libyschen und tunesischen Behörden zusammen, um die nötigen Formalitäten für die Freilassung der Kinder und ihre Reise via Tunesien in die Schweiz zu organisieren.
Am Morgen, an dem UNHCR-MitarbeiterInnen in das Internierungslager kamen, um die Kinder endlich zu ihrer Mutter zu bringen, war ihre Geschichte bereits bei allen Insassen bekannt. Die Kinder verließen das Lager mit dem fröhlichen Gesang ihrer eritreischen Mitinsassen im Ohr.
Weniger als 24 Stunden später – nach einer Nacht in Tunis, wo die Schweizer Botschaft ihnen ihre Reisedokumente übergab – landeten Kedija und Yonas schließlich auf Schweizer Boden, wo eine besorgte und aufgeregte Semira auf sie wartete.
Als sie ihre müden und desorientierten Kinder im Ankunftsbereich erblickte, fielen acht Jahre der Sorgen und der Sehnsucht von ihr ab. Sie rannte zu ihnen und schloss sie in ihre Arme – zu guter Letzt wieder sicher, glücklich und vereint.
*Alle Namen wurden aus Sicherheitsgründen geändert.
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