Weltweit erstmals mehr als 70 Millionen Menschen auf der Flucht

Tiefstand in der Schweiz korrespondiert nicht mit den globalen Entwicklungen.

Mohammad Ayub, 31, und Kismat Ara, 3, sind Teil einer Familie, welche vier Generationen von Rohingya auf der Flucht repräsentiert. ©UNHCR/R. Arnold

Während die Zahl der Asylsuchenden in der Schweiz seit 2007 nicht mehr so niedrig war, verkündet die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR, dass die Anzahl der Menschen auf der Flucht zum ersten Mal die 70 Millionen Marke überschritten hat. Zum 31. Dezember 2018 habe es weltweit 70,8 Millionen Vertriebene (Flüchtlinge, Binnenvertriebene und Asylsuchende) gegeben, sagte der Flüchtlingshochkommissar der Vereinten Nationen, Filippo Grandi, bei der Vorstellung des UN-Flüchtlingsberichts „Global Trends“. Das seien 2,3 Millionen mehr als ein Jahr zuvor – und doppelt so viele wie vor 20 Jahren. Es ist zugleich die höchste Zahl von Flüchtlingen, die das 1950 geschaffene UNHCR je gezählt hat.

„Die Daten zeigen, dass die Zahl der vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehenden Menschen langfristig steigt“, sagte Grandi. „Obwohl die Sprache, wenn es um Flüchtlinge und Migranten geht, oft vergiftet ist, sehen wir aber auch phantastische Beispiele von Grossmut und Solidarität, gerade von Gemeinschaften, die selbst schon einer grossen Zahl von Flüchtlingen Schutz gewähren. Wir sehen auch beispielloses Engagement von neuen Akteuren, wie Entwicklungshilfeorganisationen, der privaten Wirtschaft und von Einzelnen. Sie spiegeln nicht nur den Geist des Globalen Paktes für Flüchtlinge wider, sondern leben ihn auch.“ Grandi sagte weiter: „Auf diesen positiven Beispielen müssen wir aufbauen und unsere Solidarität für die vielen Tausenden, die jeden Tag vertrieben werden, verdoppeln.“

Mit 70,8 Millionen übersteigt die Zahl der Menschen auf der Flucht die der Einwohner Frankreichs oder Grossbritanniens deutlich. Davon sind 25,9 Millionen Flüchtlinge, also Menschen, die vor Krieg und Verfolgung aus ihrem Land geflohen sind. Das ist ein Plus von 500 000. Darin enthalten sind 5,5 Millionen palästinensische Flüchtlinge unter dem Mandat von UNRWA. Zu den Flüchtlingen kommen 3,5 Millionen Asylsuchende, also Menschen, über deren Gesuche noch nicht entschieden ist. Die grösste Gruppe sind mit 41,3 Millionen die Binnenvertriebenen, also Menschen die innerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht sind.

Für Hunderttausende Menschen hat sich die Situation aber auch gebessert. So konnten 593 800 Flüchtlinge nach Hause zurückkehren. Weitere 62 500 wurden Staatsbürger des Landes, in dem sie Schutz gefunden hatten. Und 92 100 fanden dank des Resettlement Programms ein sicheres Aufnahmeland. Das sind allerdings weniger als sieben Prozent der Flüchtlinge, für die es aus Sicht von UNHCR dringend eine solche Lösung geben müsste. Hochkommissar Grandi: „In jeder Notsituation muss das Ziel immer sein, dass der Flüchtling wieder nach Hause zurückkehren kann. Das ist die ständige Herausforderung für UNHCR. Eine Lösung kann es aber nur geben, wenn alle Länder zusammenarbeiten. Das ist eine der grossen Herausforderungen unserer Zeit.“

 

Tiefstand in der Schweiz korrespondiert nicht mit den globalen Entwicklungen

Dagegen ging in der Schweiz die Zahl der Asylsuchenden weiterhin deutlich zurück. Im vergangenen Jahr suchten 15 255 Schutz vor Krieg und Verfolgung in der Schweiz. 2017 waren es noch 18 088 Personen, im Jahr 2016 dagegen 27 207. Diese Zahlen schliessen auch Mehrfachgesuche und Geburten von Kindern von Flüchtlingen und Asylsuchenden in der Schweiz ein. Die Zahl der tatsächlich neu in die Schweiz eingereisten Personen ist daher noch wesentlich niedriger und liegt bei etwas über 10 000. Gemäss der SEM Publikation Asylstatistik 2018 ist dies „der tiefste Wert seit dem Jahr 2007 (10 844 Gesuche)“ und der Anteil der Schweiz an allen in Europa gestellten Asylgesuchen, der bei rund 2,5 % liegt, stellt laut SEM „den zweittiefsten Anteil der Schweiz seit dem Fall der Berliner Mauer dar.“

„Die gegenwärtig extrem niedrigen neuen Gesuchszahlen geben der Schweiz Spielraum, sich verstärkt auf die Qualität des neuen Asylsystems, das seit dem 1. März in Kraft ist, und die Umsetzung der neuen Integrationsagenda zu konzentrieren“, kommentiert Anja Klug, UNHCR Vertreterin für die Schweiz und Liechtenstein. „Sie bieten ausserdem Raum für ein stärkeres Engagement im Rahmen des UNHCR-Resettlement Programms. Dieses leistet einen wichtigen Beitrag zur Solidarität mit Entwicklungsländern, die weiterhin 84% aller Flüchtlinge beherbergen.“

 

Sieben Schlüsselfakten, die Sie kennen sollten:

KINDER – Jeder zweite Flüchtling ist ein Kind (jünger als 18 Jahre). 111 000 von ihnen sind unbegleitete Minderjährige und von ihren Familien getrennt. Allein in Uganda leben 2800 UMA, die jünger als 6 Jahre sind.

URBANITÄT – Flüchtlinge leben deutlich öfter (61 Prozent) in Städten als auf dem Land.

REICH&ARM – Reiche Länder haben im Schnitt 2,7 Flüchtlinge pro 1 000 Einwohner aufgenommen, mittlere und arme Länder 5,8 Flüchtlinge pro 1 000 Bewohner. Die ärmsten Länder der Erde beherbergen ein Drittel der Flüchtlinge weltweit.

NACHBARN – Etwa 80 Prozent der Flüchtlinge haben in einem direkten Nachbarland Schutz gefunden.

DAUER – Etwa vier von fünf Flüchtlingen sind schon vor mindestens fünf Jahren vertrieben worden. Jeder fünfte ist sogar schon seit 20 Jahren oder länger Flüchtling.

NEUE ASYLSUCHENDE – Die grösste Zahl der neuen Asylsuchenden kam im Jahr 2018 aus Venezuela: 341 800

ANTEIL – Jeder 108. Mensch auf der Erde ist ein Flüchtling. Vor zehn Jahren war es jeder 160.

 

Den gesamten Bericht finden Sie hier: Global Trends-Report

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