Syrer setzen Talent bei Kieler Segelmacher ein

Eine Segelmacherei in Kiel suchte dringend qualifizierte Mitarbeiter. Die beiden Näher Mohammed Alsahani und sein Sohn Yousef hatten in Syrien Vorhänge geschneidert und konnten nun ihre Talente in der neuen Heimat unter Beweis stellen.

Le fabricant de rideaux Mohammed (gauche), 51 ans, et son fils Yousef ont aidé à répondre à la demande en main d'oeuvre qualifiée de la voilerie Coastworkxx, près de Kiel. © UNHCR/Gerhard Westrich

KIEL, Deutschland – In einem kleinen Textilbetrieb im Norden Deutschlands, weit weg von den Gefahren und Unruhen des Krieges, messen, schneidern und nähen die beiden syrischen Flüchtlinge Mohammed Alsahani und sein Sohn Yousef präzise Designs.

Die beiden haben Arbeit in einer Segelmacherei in der Nähe des Kieler Hafens gefunden. Sie reparieren kaputte Segel, nähen Sonnensegel oder produzieren aus den alten Segelstoffen Kleidungsstücke und Accessoires.

Mohammed, der in Damaskus Vorhänge nähte, hat sich der Arbeit in seinem neuen Zuhause an der Ostsee schnell angepasst. Gemeinsam mit seinem jüngeren Sohn Yousef, arbeitet er jetzt in Vollzeit bei der Segelmacherei Coastworxx.

Mohammed war überrascht, wie einfach er sich von der Produktion von Vorhängen auf die Arbeit mit Segeln umstellen konnte. „Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als wir ein Segel reparieren mussten“, sagt der 51-Jährige Mohamed mit Hilfe eines Übersetzers.

„Ich habe so etwas nie vorher gemacht, aber ich habe den anderen zugesehen wie sie es machen. Das nächste habe ich dann allein gemacht. Ich war sehr erleichtert, dass ich es tatsächlich hinbekommen habe.“

„Wir haben eine gute Chance mit den Jungs unsere Aufträge zu erledigen und solche kleinen Betriebe am Laufen zu halten.“

Der Chef von Coastworxx, Segelmacher Christian Lübbe, schätzt die Motivation und Qualifikation der beiden Neuankömmlinge sehr. Unter seinen neun Mitarbeitern sind vier Asylsuchende und Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan.

“Mohammed und Yousef sind sehr viel besser als einige Deutsche, die ich als Trainee hatte”, sagt Christian. „Wir brauchen nicht viele Worte. Mohammed und ich verstehen uns, weil er seine Arbeit einfach sehr gut beherrscht. Ich zeige ihm die Designs und er setzt sie um.“

Deutsche Betriebe, die auf handwerkliches Geschick angewiesen sind, leiden unter einem Mangel an Fachkräften, sagt er.

„Es sind viele gut ausgebildete Menschen gekommen, die fähig und bereit sind zu arbeiten. Wir haben eine gute Chance mit den Jungs unsere Aufträge zu erledigen und solche kleinen Betriebe am Laufen zu halten.“

In Damaskus schneiderten der 23-jährige Yousef und sein Vater aufwendige Vorhänge. Die Umstellung auf die Produktion von Segeln fiel ihnen nicht schwer. © UNHCR/Gerhard Westrich

 

Beide Seiten profitieren. Für Mohammed und seine Familie, die eine Tortur durchlitten, um es nach Europa zu schaffen, leistet die Arbeit bei Coastworxx einen entscheidenden Beitrag ihr Leben wieder neu aufzubauen.

„Ich bin so glücklich Arbeit zu haben“, sagt der 23-Jährige Yousef, der eines Tages seinen eigenen Betrieb gemeinsam mit Mohammed und seinem Bruder Ahmed führen möchte. „Es ist sehr gut für uns, dass wir arbeiten können. Aber es ist auch gut für Deutschland, denke ich. Ich habe sehr viel von meinem Vater gelernt.“

Als Jugendlicher in Damaskus half Yousef oft im Betrieb seines Vaters aus. Neben Vorhängen, produzierten sie auch maßgeschneiderte Lampen, Mosaike und Fliesen. Als das Ausmaß des Krieges immer schlimmer wurde, floh Yousef, damals 18, alleine in die Türkei, um nicht in die Kämpfe hineingezogen zu werden.

Ein Jahr später folgte ihm Ahmed. Nachdem viele seiner Freunde und sein Neffe getötet wurden, folgte auch Mohammed mit Yousefs jüngerer Schwester Hanan und seiner Mutter Soozanne.

„In Damaskus habe ich sehr hart gearbeitet, aber dann kam der Krieg.“ Mohammed kämpft mit den Tränen als er das sagt. „So viele Menschen werden getötet in Syrien, jeden Tag. Eines Tages wird das aufhören. Alle Kriege müssen aufhören. Es macht mich sehr traurig, dass so viele Menschen sterben müssen. Wir sind doch nur Menschen. Wir möchten einfach nur leben.“

In der Türkei entschieden sich Mohammed und Ahmed nach Europa weiterzureisen und ihre Frauen nachzuholen, sobald sie in Sicherheit sind. Sie erreichten Griechenland auf einem seeuntauglichen Schlauchboot, zahlten für Schmuggler, die sie in die Schweiz flogen und von dort nahmen sie einen Zug nach Deutschland.

Yousef nahm in der Zwischenzeit eine andere Route. Durch seine Arbeit als Tischler in der Türkei konnte er genug Geld zurücklegen, um nach Italien zu reisen. Ende 2014 zahlte er Schmugglern tausende von Euro und vertraute ihnen sein Leben an.

Auf dem Wasser kam es aber dann es zu einem großen Zwischenfall. Die Schmuggler warfen den 73 Passagieren vor, das Geld noch nicht bezahlt zu haben und drohten damit umzudrehen. Elf Tage später erreichte das Boot die ägyptische Küste.

Keiner der Passagiere, auch Yousef nicht, hatte offizielle Papiere bei sich. Die Gruppe wurde festgenommen und in polizeilichen Gewahrsam genommen. Die Anzeigen wurden später fallengelassen. Es dauerte jedoch acht weitere Monate bis sie freikamen.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie sich das anfühlt im Gefängnis zu sitzen und nicht zu wissen, was passieren wird”, sagt Yousef. „All mein Geld war weg. Jeden Tag habe ich mich gefragt, wie ich da rauskomme.“

Er blieb per Telefon mit seiner Familie im Kontakt. Sie konnten ihm jedoch nicht helfen. Im Juni 2015 beschlossen Delegationen aus Schweden, Frankreich und Deutschland, die Gefangenen nach Europa zu resetteln. Sehr ehrleichtert, befand sich Yousef kurz darauf in einem Flugzeug nach Kiel, um dort endlich wieder mit seinem Vater und seinen Bruder vereint zu sein. Wenig später kamen seine Mutter und seine Schwester aus der Türkei im Rahmen des Familiennachzugs nach.

„Sie wissen, dass wir einfach Menschen sind, die Hilfe brauchen, dass wir einfach ohne Krieg leben wollen.“

Eine zufällige Begegnung brachte Segelmacher Christian mit Mohammed, Yousef und Ahmed zusammen. Nach einer Probezeit stellte Christian Mohammed und Yousef in Vollzeit in seinem Betrieb an. Der 25-Jährige Ahmed plant sein Studium wieder aufzunehmen.

„In Damaskus habe ich sehr hart gearbeitet, aber dann kam der Krieg“, sagt Mohammed. In Kiel setzt er nun seine Talente in einer Segelmacherei ein. © UNHCR/Gerhard Westrich

 

Mohammed lebt nun gemeinsam mit seiner 44-Jährigen Frau und der 15-Jährigen Tochter Hanan, die eine weiterführende Schule besucht. Im letzten Herbst ist auch Yousef in eine eigene Wohnung gezogen, nachdem er zunächst bei einer deutschen Gastfamilie lebte.

„Es ist großartig – so viele Deutsche haben uns geholfen”, sagt Yousef auf Deutsch, das ihm seine Freunde beigebracht haben. Er verbringt viel Zeit in seiner Freizeit mit Christian und seiner Familie. „Wir essen gemeinsam, gehen spazieren oder surfen. Wir machen eine Menge Dinge gemeinsam. Nachdem ich so lange Zeit im Gefängnis saß, möchte ich an die positiven Dinge denken.“

„Es ist wirklich schön hier, besonders im Sommer“, sagt er. „Deutschland ist mein zweites Zuhause geworden. Die Menschen hier sind toll. Hier weiß jeder darüber Beschied, was in Syrien geschieht. Sie wissen, dass wir einfach Menschen sind, die Hilfe brauchen, dass wir einfach ohne Krieg leben wollen.“