Brückenbauerin zwischen den Kulturen

Der Einsatz muslimischer Seelsorgenden in einem Bundesasylzentrum in Zürich hat sich bewährt. Dennoch fehlt im Moment das Geld für eine entsprechende landesweite Einführung.

Der Einsatz muslimischer Seelsorgenden wie Belkis Osman in einem Bundesasylzentrum in Zürich hat sich bewährt. © UNHCR/Mark Henley

Belkis Osman arbeitet zwei Nachmittage pro Woche im Bundesasylzentrum auf dem Messegelände in Zürich-Oerlikon. Die muslimische Seelsorgerin geht auf die Menschen zu. Sie klopft an die Türen der fensterlosen Zimmer aus Spanplatten, die wie Container in der riesigen Halle stehen. Osman fragt die Asylsuchenden dann jeweils, wie es ihnen geht, was sie gerade tun, ob sie mal draussen waren. „Ich freue mich immer, sie zu sehen“, sagt Amina*, eine junge Irakerin. In der Messehalle wohnen vor allem Frauen, Familien und allein reisende Minderjährige, derzeit rund 140 Personen. Die Halle verfügt über 150 Plätze und dient seit Spätsommer 2018 für ein Jahr als Bundesasylzentrum bis das neue Zentrum auf dem Duttweiler-Areal im Kreis 5 (ab Herbst 2019) in Betrieb ist. Asylsuchende Männer werden dann ebenfalls dorthin ziehen. Heute sind sie noch im Juch-Zentrum in Zürich-Altstetten untergebracht, das jedoch einem neuen Eishockey-Stadion weichen muss.

„Ich freue mich immer, Frau Osman zu sehen“

Amina*, junge Asylsuchende aus Irak

 

Im Gegensatz zum Juch-Zentrum verfügt jenes in Zürich-Oerlikon über keinen eigens für Seelsorgegespräche vorgesehenen Raum, was Belkis Osman bedauert. Themen wie Schuld, Angst, Sexualität oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen können oft nur frei ausgesprochen werden, wo Wände vor Mithörenden und Mitsehenden schützen. Die Gespräche müssen aktuell aber in einem Sitzungszimmer des Betreuungsteams, in der offenen Halle oder in Zimmern geführt werden, die sich vier bis sechs Personen teilen.

 

Switzerland. Official Muslim chaplain provided for asylum seekers in Swiss federal asylum centre

Belkis Osman arbeitet als muslimische Seelsorgerin zwei Nachmittage pro Woche im Bundesasylzentrum auf dem Messegelände in Zürich-Oerlikon. © UNHCR/Mark Henley

Switzerland. Official Muslim chaplain provided for asylum seekers in Swiss federal asylum centre

Die Halle verfügt über 150 Plätze und dient seit Spätsommer 2018 für ein Jahr als Bundesasylzentrum bis das neue Zentrum auf dem Duttweiler-Areal im Kreis 5 in Betrieb ist. © UNHCR/Mark Henley

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In der Messehalle wohnen vor allem Frauen, Familien und allein reisende Minderjährige, derzeit rund 140 Personen. © UNHCR/Mark Henley

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Im Gegensatz zum Juch-Zentrum verfügt jenes in Zürich-Oerlikon über keinen eigens für Seelsorgegespräche vorgesehenen Raum – sondern nur über einen engen Gebetsraum – was Belkis Osman bedauert. © UNHCR/Mark Henley

Switzerland. Official Muslim chaplain provided for asylum seekers in Swiss federal asylum centre

Die Gespräche müssen aktuell aber in einem Sitzungszimmer des Betreuungsteams, in der offenen Halle oder in Zimmern geführt werden, die sich vier bis sechs Personen teilen. © UNHCR/Mark Henley

 

Aufgrund des hohen Anteils muslimischer Asylsuchenden im Schweizer Asylsystem kommt der Präsenz von muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern eine besondere Bedeutung zu: Die sprachliche und kulturelle Nähe spielt eine wichtige Rolle, ebenso die Fähigkeit der muslimischen Seelsorgenden, Lebenskrisen und persönliche oder familiäre Fragen von Asylsuchenden vor dem gleichen religiösen Hintergrund zu verstehen und ihnen dadurch Zuversicht zu vermitteln. Besonders geschätzt wird von den Bewohnerinnen des Zentrums in Oerlikon eine muslimische Seelsorgerin als Ansprechperson zu haben:„Es ist wichtig, dass Seelsorgerinnen für Frauen zur Verfügung stehen“, sagt Belkis Osman. Eine Frau könne gegenüber einer Frau offener sprechen. Zudem hätten einige auf der Flucht schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht.“

Für Belkis Osman zählen auch Gespräche über Alltagsprobleme zur Seelsorge. Vor allem Fragen zu ihrem Verfahren stehen für die Asylsuchenden im Vordergrund, was genau von ihnen verlangt wird oder welche Dokumente sie noch beschaffen sollen. Auch nach einem negativen Entscheid für Asylsuchende ist die Seelsorgerin im Einsatz, weil die Menschen in dieser Situation oft zu Depressionen oder sogar Suizidgedanken neigen. „In solchen Momenten kann ich deeskalierend wirken“, sagt Belkis Osman. Für Sara*, eine schwangere Frau aus dem irakischen Kurdistan, ist es beispielsweise sehr belastend, wenn die Polizei in das Zentrum kommt. Sie ist dann froh, wenn sie auf Arabisch mit der Seelsorgerin darüber sprechen kann. „Die Gespräche bringen mir viel“, sagt Sara, die insgesamt drei Monaten im Zentrum verbracht hat.

Belkis Osman hört vor allem viel zu. „Ich bringe Zeit mit und kann mich auch mal hinsetzen, um mit den Bewohnern des Zentrums einen Kaffee zu trinken. Viele sehen mich als Vertrauensperson“, sagt die Seelsorgerin. Denn vor allem für die Frauen ist es schwierig, aus dem Zentrum zu gehen. Die meisten verlassen es nur, wenn sie Termine haben. Alleine spazieren zu gehen sind sie nicht gewohnt. Zudem befürchten manche, sich zu verlaufen. „Diese Menschen kommen in ein völlig fremdes Land. Etwas Vertrautes ist immer eine gute Basis, um sich wohl zu fühlen. Darauf kann man dann aufbauen“, sagt Belkis Osman mit Blick auf die gemeinsame Sprache und Religion.

„Diese Menschen kommen in ein völlig fremdes Land. Etwas Vertrautes ist immer eine gute Basis, um sich wohl zu fühlen. Darauf kann man dann aufbauen“

Belkis Osman, muslimische Seelsorgerin

Belkis Osman betreut auch Nichtmuslime, genauso wie die christlichen Seelsorgenden im Zentrum auch Muslime betreuen. „Die Religion ist selten unmittelbar Thema, wenn ich ein Gespräch führe“, sagt sie. „Auch wenn der Glaube für viele Gesprächspartner eine Rolle spielt“. So gebe es manchmal Segenswünsche oder Asylsuchende würden sie bitten, sie in ihre Gebete einzuschliessen. Viele Asylsuchende wüssten nicht, wie sie eine Situation einschätzen und sich verhalten sollten. Frauen fragen etwa, ob sie das Kopftuch ablegen müssten, wenn sie fotografiert werden oder ob ihr Gesuch eher positiv beurteilt werde, wenn sie bei der Befragung kein Kopftuch tragen. Manche Frauen fühlen sich unwohl, wenn ihnen ein nicht eng vertrauter Mann wohlwollend die Hand auf die Schulter legt. Die wenigsten Asylsuchenden trauten sich zu irgendeinem Vorschlag oder einer Aufforderung Nein zu sagen, sagt Belkis Osman, etwa wenn sie angefragt werden, andere zum Arzt zu begleiten. Sie fragen dann die Seelsorgerin um Rat. Diese erklärt ihnen auch, dass sie nicht jedem Rede und Antwort stehen oder Auskunft über ihre Identität geben müssen.

 

Switzerland. Official Muslim chaplain provided for asylum seekers in Swiss federal asylum centre

„Die Gespräche bringen mir viel“, erklärt Sara*, eine schwangere Frau aus dem irakischen Kurdistan, die sich besonders freut, wenn sie auf Arabisch mit der Seelsorgerin sprechen kann. © UNHCR/Mark Henley

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„Ich bringe Zeit mit und kann mich auch mal hinsetzen, um mit den Bewohnern des Zentrums einen Kaffee zu trinken. Viele sehen mich als Vertrauensperson“, sagt die Seelsorgerin. © UNHCR/Mark Henley

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Vor allem für die Frauen ist es schwierig, aus dem Zentrum zu gehen. Alleine spazieren zu gehen sind sie nicht gewohnt. Zudem befürchten manche, sich zu verlaufen. © UNHCR/Mark Henley

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Belkis Osman betreut auch Nichtmuslime, genauso wie die christlichen Seelsorgenden im Zentrum auch Muslime betreuen. „Die Religion ist selten unmittelbar Thema, wenn ich ein Gespräch führe“, sagt sie. © UNHCR/Mark Henley

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Ich freue mich immer, Frau Osman zu sehen“, sagt Amina*, eine junge Irakerin. Seelsorgende können Konflikten vorbeugen und tragen laut dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) zum besseren Miteinander in Asylzentren bei. © UNHCR/Mark Henley

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Seelsorgende sind nach Angaben des SEM zu „Brückenbauern“ zwischen den Herkunftsländern und der Schweiz geworden. © UNHCR/Mark Henley

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Die Hoffnung besteht, dass nach einer erfolgreichen Pilotphase eine nachhaltige Lösung für die Verankerung dieses Angebots im neuen Schweizer Asylsystem gefunden werden kann. © UNHCR/Mark Henley

 

Bewährter Einsatz

Unter der Verantwortung des Staatssekretariats für Migration (SEM) wurde im Bundesasylzentrum in Zürich-Altstetten von Mitte 2016 bis Mitte 2018 ein Pilotprojekt für eine muslimische Seelsorge durchgeführt. Dort fand auch der Testbetrieb für das beschleunigte Asylverfahren statt. Ziel war es, den Nutzen einer landesweiten Einführung der muslimischen Seelsorge in Bundesasylzentren zu prüfen. Dieses Pilotprojekt wurde in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (VIOZ) umgesetzt. Drei muslimische Seelsorgende, zwei Imame und Belkis Osman, die auch Vizepräsidentin der VIOZ ist, teilten sich ein Stellenpensum von 70 Prozent. Osman hat eine Weiterbildung in Migrationsseelsorge an der Universität Bern absolviert. Die Aufgabe passt sehr gut zu ihrem Profil, weil sie Arabisch spricht und die Gesellschaft in der Schweiz versteht, da sie hier aufgewachsen ist.

Der Einsatz von muslimischen Seelsorgenden hat sich laut Einschätzungen aller Parteien bewährt. Diese Seelsorgenden sind nach Angaben des SEM zu „Brückenbauern“ zwischen den Herkunftsländern und der Schweiz geworden. Sowohl aus Sicht der Asylsuchenden, als auch der Mitarbeitenden in der Betreuung und der christlichen Seelsorger bringe die muslimische Seelsorge einen klaren Mehrwert, teilte das SEM Mitte Februar 2018 mit. Es stützte sich dabei auf den Evaluationsbericht, welcher vom Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) der Universität Freiburg verfasst wurde. Der interreligiöse Dialog wird durch die muslimischen Seelsorgenden gefördert. Das kann Konflikten vorbeugen und trägt zum besseren Miteinander in Asylzentren bei, hiess es auch beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK).

Laut dem SZIG-Bericht standen die muslimischen Seelsorgenden im Sinne einer Alltagsseelsorge im Zentrumsareal für spontane Gespräche zur Verfügung und führten mit Asylsuchenden aus 20 verschiedenen Ländern vertiefte Seelsorgegespräche. Die Ratsuchenden hätten die Gespräche im Rückblick überwiegend sehr positiv bewertet und besonders den vertrauensvollen Rahmen geschätzt. Als positiv beurteilt der Bericht auch die enge Zusammenarbeit der Seelsorgenden mit dem Gesundheitsdienst, die es ermöglichte, gesundheitliche und psychische Probleme von Asylsuchenden mit den jeweiligen Kompetenzen anzugehen.

Finanzierung gesucht

Obwohl durchwegs positiv bewertet, wird die muslimische Seelsorge zunächst nicht schweizweit in den Bundesasylzentren eingeführt. Denn für eine längerfristige Übernahme der Finanzierung der muslimischen Seelsorge fehlt dem Bund die gesetzliche Grundlage, sagte ein Sprecher im vergangenen November gegenüber dem Westschweizer Radio RTS.

Die muslimische Seelsorge in Zürich konnte dennoch fortgesetzt werden. Zurzeit wird die Finanzierung vom Projekt durch einen im Kanton Zürich für die muslimische Spitalseelsorge speziell geschaffenen Verein sichergestellt. Frau Osman und ein muslimischer Kollege bleiben durch das SEM akkreditiert und sind weiterhin in den Zürcher Bundesasylzentren tätig.

Diese Ungewissheit erschwert die Arbeit von Frau Osman: Längerfristige Planungen seien nicht möglich, obwohl eine Finanzierung bis August 2020 jetzt grundsätzlich sichergestellt ist. Die Hoffnung besteht aber, dass nach einer erfolgreichen Pilotphase eine nachhaltige Lösung für die Verankerung dieses Angebots im neuen Schweizer Asylsystem gefunden werden kann. Ferner wäre es wünschenswert, dass bei der Eröffnung vom neuen Zentrum auf dem Duttweiler-Areal wieder geeignete Räumlichkeiten für tiefergehende Gespräche geschaffen werden.

*Name von der Redaktion geändert