Am Steuer der gelben Riesen durch die Hauptstadt
Die Berliner Verkehrsbetriebe bilden Flüchtlinge zu Busfahrern aus, beheben dadurch Fahrermangel und integrieren Neuankömmlinge.
Mohamad Al Said geht an Bord eines gelben Busses und klettert in die Fahrerkabine. Hinter ihm steigen die Passagiere ein. Der syrische Flüchtling mag aussehen, als ob er immer schon in seine neue Rolle als Busfahrer gehörte, aber das hat Monate harter Arbeit gekostet.
„Ich wollte Sicherheit und ein gutes, stabiles Leben für mich und meine Familie“
„Ich wollte Sicherheit und ein gutes, stabiles Leben für mich und meine Familie“, sagt der 33 Jahre alte ehemalige Literaturstudent. 2015 floh er von Syrien nach Deutschland und kürzlich wurde er zum Busfahrer im Berliner Verkehrsnetz umgeschult.
Mohamad sagt, dass es ihm zuerst schwer fiel, in einem fremden neuen Land mit zwei kleinen Söhnen zurechtzukommen. Aber er fand bald neue Freunde, die ihm bei allem, was er für den Neuanfang brauchte, halfen. Vom Deutsch lernen bis zur Suche und Einrichtung einer Wohnung.
Schnell fokussierten sich Mohamads Gedanken auf die Job-Suche. Zuvor hatte er in Syrien Arabisch studiert und gehofft, eines Tages Lehrer zu werden. Doch das weitere Studium und die Lehrerausbildung würden mehrere Jahre dauern. Da er seine zwei kleinen Kinder unterstützte, wurde ihm klar, dass er auf andere Fähigkeiten zurückgreifen musste.
Mohamad erzählte seinen Freunden, dass er schon mal einen Job als Fahrer hatte, bei dem er einen kleinen, neunsitzigen Bus für eine Schule in Syrien fuhr. Seine Freunde schlugen ihm vor, sich an die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zu wenden, die Fahrer suchten. Einige Monate später wurde ihm ein Platz in einem speziellen Ausbildungsprogramm für Flüchtlinge angeboten.
„Die Arbeitsagentur rief und fragte mich ob ich immer noch Interesse daran habe, Busse in Berlin zu fahren?“, erinnerte sich Mohamad. „Natürlich“ sagte er.
Mohamad arbeitete hart und konzentrierte sich auf die Trainingseinheiten. Er war 2018 einer von 16 Neuankömmlingen, die das einjährige Praktikum der BVG und der Agentur für Arbeit absolvierten. Das Praktikum begann mit einem viermonatigen Sprachkurs, gefolgt von einer intensiven Sicherheits-und Technikschulung. Die meisten Auszubildenden hatten noch nie zuvor einen Bus gesteuert.
„Wir mussten erst mal verstehen, wie Busse überhaupt fahren“, erklärt Mohamad. „Wir mussten lernen, wie assistiertes Bremsen funktioniert, wie ein Dieselmotor läuft und was zu tun ist, wenn etwas schief gelaufen ist.“
Unter die ganze Theorie war auch eine Menge Fahrpraxis gemischt. Die Auszubildenden arbeiteten mit Neunsitzer-Bussen – einer kleineren Version der Busse, die durch die Berliner Straßen fahren. Mohamad absolvierte das Programm und bewarb sich anschließend erfolgreich für eine feste Vollzeitstelle bei der BVG. Erst dann durfte er versuchen, die verschiedenen Bus-Typen des BVG-Netzwerkes zu fahren.
„Zuerst fühlten sich die Busse gigantisch an“, sagte Mohamad. Die enorme Größe der Doppeldecker, so erinnerte er sich, bedeutete, dass sie am schwersten zu handhaben waren. Er lernte, die Busse richtig zu fahren und fing an, sich Routen in seinem Bezirk im Osten Berlins zu merken. Innerhalb einer Woche fing er mit seiner Arbeit an. Auf einigen seiner Routen fuhr er ältere Passagiere, auf anderen brachte er Touristen zum und vom Berliner Flughafen Schönefeld.
„Was ich besonders an meinem Job als Busfahrer mag, ist es, mit Menschen zu arbeiten“
„Was ich besonders an meinem Job als Busfahrer mag, ist es, mit Menschen zu arbeiten“, sagt Mohamad. „Ältere Leute von A nach B zu bringen und den Menschen zu helfen, das ist eine wichtige Sache, die ich jeden Tag mache“.
Die Mischung der Leute sei das Beste in seinem Job. „Jede Buslinie hat unterschiedliche Arten von Menschen. Dass es Leute aller Nationalitäten hier gibt, gefällt mir besonders an Berlin“.
Mohamad ist jetzt Vollzeit-Busfahrer und hat eine 39-Stunden Arbeitswoche, jeweils achtstündige Schichten. Es kann harte Arbeit sein, im dichten Verkehr zu fahren und mit aggressiven Fahrern umzugehen. Außerhalb der Arbeit fährt er lieber mit dem Fahrrad durch Berlin und meidet es komplett, Auto zu fahren.
„Ich ärgere mich nie über die Radfahrer“, sagt er. „Ich weiß, wie ein Radfahrer denkt, also respektiere ich sie immer und gebe ihnen viel Platz.“
Nach zwei Monaten im Job begann Mohamad, seine Busrouten in- und auswendig zu kennen. Gleich nach der Sicherheit habe die Einhaltung des engen Zeitplans oberste Priorität. Er versuche immer, sein Bestes zu geben. Nicht zuletzt, um seinen beiden kleinen Jungen, die jetzt in der Schule sind, eine Zukunft zu sichern.
Obwohl er sein Zuhause in Syrien vermisst, ist er dankbar, einen sicheren Ort für einen Neuanfang gefunden zu haben. Für viele Flüchtlinge bieten Arbeitsplätze nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sondern auch eine Möglichkeit, mit den Einheimischen besser in Kontakt zu treten.
„Dieser Austausch auf gleicher Augenhöhe ist der Schlüssel zur sozialen Integration und macht Ausländer zu Nachbarn, Kollegen und potenziellen Freunden“, sagt Dominik Bartsch, Repräsentant des UNHCR, des Hohen UN-Kommissars für Flüchtlinge, in Deutschland.
„Dieser Job als Busfahrer bedeutet mir jetzt alles“, sagt Mohamad. „Zu Hause ist zu Hause und es wird immer in meinem Herzen bleiben, aber ich möchte in Berlin bleiben und arbeiten. Der Job hat mir Sicherheit in Deutschland gegeben und gibt mir finanzielle Stabilität. So kann ich meine Familie versorgen, und das ist mir so wichtig.“
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