Freiwillig in Halle: Immer mehr Flüchtlinge engagieren sich im Bundesfreiwilligendienst

Die 54-Jährige Roya aus dem Iran kann sich ein Leben ohne ihre Arbeit im Familienzentrum „Schöpfkelle“ in Halle gar nicht mehr vorstellen.

Roya liebt die Arbeit im Familienzentrum und möchte am liebsten den ganzen Tag mit den Kindern malen, tanzen und spielen. ©UNHCR/Chris Melzer

In Halle-Silberhöhe ist Roya so etwas wie ein Popstar. „Royaaaa!“ rufen die Kinder begeistert, als sie in die „Schöpfkelle“ kommt. Mit nicht weniger Begeisterung nimmt die 54-Jährige die Kinder in den Arm, alle auf einmal. „Wascht Euch die Hände, dann wir kochen zusammen“, sagt die Frau mit leichtem, aber unüberhörbarem Akzent. Roya kommt aus Iran, in Deutschland ist sie erst seit drei Jahren. Sie ist ein Flüchtling. Und eine Freiwillige. Immer mehr Flüchtlinge arbeiten als Freiwillige. Eine Motivation: Der Gesellschaft etwas zurückgeben, die ihnen Schutz gewährt.

Silberhöhe ist ein sozialer Brennpunkt, das sagt die Chefin der „Schöpfkelle“ selbst. „90 Prozent der Menschen, die in unser Familienzentrum kommen, sind Deutsche. Aber kaum einem geht es wirklich gut.“ Sie leben in den umliegenden Plattenbauten, Relikte aus der DDR, deren Betongrau allerdings heute von viel Grün umgeben ist. Allzu viele Freizeitmöglichkeiten gibt es hier nicht, gut ein Dutzend Straßenbahnstationen von der Innenstadt von Halle entfernt. Da hilft die „Schöpfkelle“. Kinder können hier spielen oder die Hausaufgaben machen. Die Größeren hängen einfach rum und erzählen von ihrem Traum, ein „Youtube“-Star zu werden. Und jeder bekommt für kleines Geld eine Fanta oder auch etwas zu essen.

„Ich hatte noch nie von Halle gehört“, sagt Roya schulterzuckend. Sie ist Christin. „Wir konnten einigermaßen leben im Iran“, sagt sie, aber ihre Stimme klingt müde, fast resigniert. „Wir durften nicht Weihnachten feiern und ich musste auch als Christin Kopftuch tragen, aber irgendwie ging es.“ Aber sie war Lehrerin, eine Arbeit, die sie geliebt hat. Als Geschichtslehrerin wollte sie aber nicht erst mit der islamischen Revolution 1979 anfangen. „Ich wollte den Kindern die Wahrheit erzählen. Auch, dass es früher Könige und Königinnen in unserem Land gab.“ Ein Mädchen erzählte das zu Hause und der Vater zeigte Roya an. Der Druck wurde immer schlimmer, sie dachte an Bekannte, die verhaftet oder gar getötet wurden. Und es gab kaum Hoffnung: „Jeder Tag war schlechter als gestern“, versucht sie zu erklären. Ihr Entschluss war klar: Flucht.

In Deutschland angekommen war sie zuerst in Hamburg, nach ihrer Anerkennung wurde sie von den Behörden nach Halle geschickt. „In den Osten?“, fragten Freunde entsetzt. „Ich hatte das damals nicht verstanden“, sagt Roya, „heute verstehe ich es noch weniger“. Sie liebt ihre neue Heimat und sie liebt die Menschen. „Natürlich gibt es auch hier Leute, die Ausländer nicht mögen“, sagt sie. „Aber die gibt es überall, auch in Iran.“

Roya wollte arbeiten. Etwas zurückgeben. Sich beteiligen. Helfen. Die Freiwilligen-Agentur Halle-Saalekreis e.V. vermittelte sie an die „Schöpfkelle“, erst einmal nur für die Donnerstage. „Sechs Tage saß ich zu Hause und wartete auf den Donnerstag“, sagt sie. Schließlich bekam sie ein Angebot über den Bundesfreiwilligendienst mit einem Vertrag für 20,5 Stunden die Woche. Wie viele Flüchtlinge, gerade in Halle.

„Wir erleben, dass der Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug bei uns gerade von Geflüchteten erfolgreich angenommen wird“, sagt Jonny Renger von der Freiwilligen-Agentur. „Ungefähr 80 Prozent unserer Bundesfreiwilligen sind Geflüchtete.“ Mit ihnen wird eine Vereinbarung abgeschlossen und sie erhalten im Monat 169 Euro als Taschengeld, Sozialversicherung und werden mit einem Bildungsprogramm und individuellen Coachings begleitet, so wie alle anderen Bundesfreiwilligen auch. Es sind auch nahezu die gleichen Einsatzorte.

„In unserem offenen Begegnungscafé, dem Welcome-Treff, sind natürlich mehr Freiwillige mit Migrationsgeschichte im Einsatz. Aber beispielsweise auch in der Jugendarbeit übernehmen unsere geflüchteten Freiwilligen keine anderen Aufgaben als jede und jeder andere Freiwillige.“ Vorteil des 20,5-Stunden-Modells: „Das lässt sich mit einem parallel stattfindenden Deutschkurs vereinbaren, denn Sprache ist nicht nur für die Integration wichtig, sondern auch für viele unserer Arbeitsstellen.“ Renger erzählt, dass ein Bundesfreiwilliger gerade seinen Dienst vorzeitig beendet hat. „Er hat ein Arbeitsangebot erhalten.“

Roya liebt die Arbeit im Familienzentrum und möchte am liebsten den ganzen Tag mit den Kindern malen, tanzen und spielen. „Roya, kochst Du? Roya, kochst Du?“ ist ein oft gehörter Satz und dann bereitet die 54-Jährige deutsche oder iranische Gerichte zu. Zwei kleine Mädchen gucken neugierig in den Topf und Roya erklärt ihnen jeden Schritt. „Wir helfen einander“, sagt Roya und nimmt die beiden in den Arm. „Ich zeige ihnen, wie man Kuku, eine Art Kartoffelpuffer macht. Und sie helfen mir, Deutsch besser zu verstehen.“ Sie betont, dass sie mit „Deutsch“ nicht nur die Sprache meint, auch die Kultur, das Lebensgefühl der Deutschen. „Ich liebe Halle. Es ist jetzt mein zu Hause.“

Eine große Sorge hat Roya aber noch: Ihr Bundesfreiwilligendienst läuft jetzt aus. „Ich kann mir ein Leben ohne die Arbeit, ohne die Menschen hier nicht vorstellen“, sagt sie. Deshalb hat sie mit der Chefin auch vereinbart, dass sie auch künftig helfen kann. Freiwillig.

Ganz fair ist diese Geschichte nicht.

Wie Roya engagieren sich in der „Schöpfkelle“ noch andere Frauen und Männer, nicht weniger hingebungsvoll, nicht weniger motiviert, nicht weniger geduldig mit der Bürokratie, den knappen Ressourcen und manchmal auch den nicht einfachen Besuchern des Familienzentrums. Eigentlich müsste man von allen die Geschichte erzählen. Oder zumindest daran denken, wie viele Menschen sich jeden Tag freiwillig engagieren, um das Leben anderer Menschen ein bisschen besser zu machen.