Wo ist eigentlich Bule Hora?

Unsere Kollegin Julia war zum Nothilfeeinsatz in Äthiopien. Das hat sie erlebt.

UNHCR heißt Hilfe. Unsere Mitarbeiter setzen sich in 128 Ländern für Menschen in Not ein – so wie hier Julia in Äthiopien. © Foto privat

Es gibt Mitarbeiter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), die ständig eine gepackte Tasche unter dem Bett stehen haben. Bei denen quasi der dicke Wollschal auf dem Moskitonetz liegt und die Regenstiefel neben den Wüstenschuhen stehen. Es sind Mitglieder des Emergency Response Teams. Sie verpflichten sich, innerhalb von 72 Stunden einsatzbereit zu sein – notfalls überall auf der Erde.

Egal ob Menschen wegen eines ethnischen Konflikts oder eines politischen Umbruchs über Nacht fliehen müssen: UNHCR ist die internationale Organisation, um zu helfen. Und die Mitarbeiter des Emergency Response Teams sind die ersten. Dazu müssen sie erst eine intensive zweiwöchige Ausbildung absolvieren, die (zumindest theoretisch) auf alle Eventualitäten vorbereiten soll. Die von Julia Moser fand in einem von der Mitternachtssonne beleuchtetem Zeltlager in Norwegen statt. Ihr Nothilfeeinsatz führte sie dann in die Hochebenen Ostafrikas.

„Ende September kam der Ruf, dass ich nach Äthiopien gehen soll“, sagt die Schweizerin, die eigentlich in der Rechtsabteilung im Berliner Büro arbeitet, aber davor in Sri Lanka und Georgien für UNHCR gearbeitet hat. Die Impfempfehlung war simpel („einfach mal alles“) und der gepackte Koffer, inklusive Moskitonetz und Tabletten zur Trinkwasseraufbereitung, stand bereit. Dann ging es mit einem kleinen Flugzeug von Berlin nach Wien, mit einem etwas größeren von Wien nach Addis Abeba und mit einem ganz kleinen von Addis Abeba nach Awassa. Und dann noch sechs Stunden mit dem Geländewagen über holprige Straßen bis nach Bule Hora in der entlegeneren Region West Guji – Julias Zuhause für die nächsten drei Monate.

UNHCR ist Profi, wenn es um Nothilfeeinsätze geht. Das ist der Job, dass macht die Organisation seit fast 70 Jahren. Doch nicht immer (oder besser gesagt: fast nie) ist die Infrastruktur da, um schnell in die Arbeit einzusteigen. „Es gab in Bule Hora eine Menge freundliche Leute. Aber ansonsten fast nichts“, sagt Julia. Es musste erst ein Gebäude gefunden werden, welches die verschiedenen humanitären Organisationen gemeinsam als Büro nutzen konnten. Doch selbst dort fiel ständig der Strom aus, es gab kein fließendes Wasser und kaum Internet. Aber das war angesichts der humanitären Not eigentlich nebensächlich: „Die meisten unserer Besprechungen fanden einfach unter freiem Himmel auf ein paar Plastikstühlen statt.“ Und wenn das Mobilnetz wieder nicht funktionierte? Dann mussten Funkgeräte und Satellitentelefone ran.

Hügelkinder

Was macht die seltsame Frau da? Wo immer Julia mit ihrer blauen UNHCR-Weste auftauchte, waren neugierige Kinder da. Und obwohl keiner ein Wort verstand, verstanden sich beide Seiten prächtig. © Foto privat

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Shubru hat einen Traum: Eine eigene Metzgerei aufzumachen und für seine Familie zu sorgen. © Foto privat

NFI Distribution

Die Nächte können auch in Äthiopien empfindlich kalt werden. UNHCR verteilt daher Decken an die Binnenvertriebenen. © Foto privat

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Wie ist die Situation? Was brauchen Sie? Wie können wir helfen? Julia im Gespräch mit Vertriebenen in Äthiopien. © Foto privat

Warum ist UNHCR überhaupt in Äthiopien? In dem Land gibt es gut 900 000 Flüchtlinge – fast so viele wie in Deutschland. Sie kommen aus dem Südsudan, Somalia und Eritrea und die meisten sind jünger als 18. Doch Julia war wegen Binnenvertriebener da, also Menschen, die im eigenen Land auf der Flucht sind. „Es ist ein Konflikt, der zwei ethnische Gruppen betrifft, über den man aber hier leider kaum etwas hört“, sagt sie. „Und wir sprechen von Hunderttausenden Menschen, die mit praktisch nichts geflohen sind. Und die oft einfach dankbar sind, noch am Leben zu sein.“

Julia sagt, dass sie „gleich reingeworfen wurde“, in die Arbeit. Um den Menschen den Schutz zu geben, für den UNHCR eintritt, hat Julia mit ihren Kollegen ein sogenanntes Protection Cluster aufgebaut, eine Koordinationsstruktur über die sich alle Organisationen abstimmen, zum Beispiel im Bereich des Kinderschutzes. UNHCR verteilt in West Guji außerdem grundlegende Hilfsgüter wie Decken, Schlafmatten, Plastikplanen und Hygieneartikel. „Wir helfen den Binnenvertriebenen, damit sie in den kalten Nächten klarkommen“, sagt Julia. Nicht leicht in einer Situation, in der täglich Schüsse fallen, das Militär Straßenblockaden aufbaut und gleich mehrere Streitfragen aufeinanderprallen: „Wir befanden uns inmitten eines komplizierten Konflikts und alles war ständig in Bewegung. Wenn wir etwas für ein paar Tausend Menschen aufgebaut hatten, waren die vielleicht nach ein paar Tagen schon woanders. Das erfordert flexible Lösungen und gute Koordinierung.“

Und nach Feierabend? Mal in Bule Hora ins Kino oder Wandern in West-Guji? Julia lächelt: „Die Freizeitmöglichkeiten sind sehr übersichtlich und die Sicherheitsbestimmungen der Vereinten Nationen tun ihr Übriges.“ Was also machen in der Freizeit? „Die Frage stellt sich kaum, weil bei solchen Einsätzen 12 oder 14 Arbeitsstunden am Tag üblich sind, auch am Wochenende.“ Dann unterhielt sie sich am liebsten mit den Kollegen und trank Kaffee – West Guji ist eine der wichtigsten Kaffeeregionen und die Bohnen sind der Hauptexportartikel von Äthiopien. Wichtigster Handelspartner: Deutschland.

Was ist das Beste an solch einer Mission? „Die Menschen denen man begegnet“, sagt Julia. „Shibru zum Beispiel. Er ist 25 und hat ein Bein verloren. Sein Haus wurde zerstört, er hat keine Prothese und stützt sich einfach auf einen Knüppel. Trotzdem sorgt er für seine vier Kinder. Und sein Traum ist, wenn wieder Frieden in seinem Dorf eingekehrt ist, eine eigene Metzgerei aufzumachen.“

Und auch die Kinder seien immer wieder ein Zeichen der Hoffnung. „Einmal musste ich dringend einen Bericht abschicken und habe den guten Funkempfang in einem besonders hochgelegenen Dorf genutzt. Sofort waren Kinder da und guckten ganz scheu, was die seltsame Frau mit Laptop da wohl macht. Sie sprechen meine Sprache nicht und ich nicht ihre. Und trotzdem haben wir an dem Tag ganz viel miteinander gelacht.“