Der Traum von der eigenen Firma

Sahel besucht derzeit die HTL für Bautechnik und schreibt in seiner Freizeit preisgekrönte Kurzgeschichten.

Sahel besucht derzeit die 3. Klasse der HTL-Fachschule, bald kann er die Abschlussprüfung ablegen. © UNHCR / I. Kielmansegg

Sahel war erst 16 Jahre alt, als er vor den Taliban flüchten musste. Gemeinsam mit seiner Familie versuchte er Afghanistan zu verlassen. An der Grenze zum Iran wurde er von ihnen getrennt und konnte bis heute keinen Kontakt mehr zu seiner Familie herstellen. Im Dezember 2015 kam er als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Österreich.

Seit zwei Jahren lebt er nun schon bei einer Pflegefamilie in der Nähe von Wien. Er lernte seine Pflegemutter kennen, als er in der Kaserne in Klosterneuburg untergebracht wurde. Sie unterrichtete Deutsch und engagierte sich sehr für die dort untergebrachten Asylsuchenden. Sie blieben in Kontakt, und nachdem Sahel weitere sechs Monate in Stockerau untergebracht wurde, bot ihm die Familie an, bei ihnen einzuziehen. Anfangs verbrachte er nur die Wochenenden bei ihnen, um sich Stück für Stück besser kennenzulernen. Schnell waren sich alle einig, Sahel würde Teil der Familie werden. „Ich finde das Konzept der Pflegefamilien sehr gut. Man muss sich in einem neuen Land zuhause fühlen, sonst bleibt man immer fremd und kann sich sehr schwer weiterentwickeln“, erzählt er von seinen Erfahrungen.

Sahel interessiert sich schon lange für Bautechnik. Schnell fand er heraus, dass er zuerst den Pflichtschulabschluss nachholen musste, bevor er eine Ausbildung oder weiterführende Schule besuchen konnte. Sahel hatte Glück, innerhalb von nur wenigen Wochen in Österreich konnte er mit dem Vorbereitungskurs für den Pflichtschulabschluss beginnen. Währenddessen erkundigte er sich, welche berufsbildenden Schulen für ihn in Frage kommen würden. Er bewarb sich schließlich für die HTL „Camillo Sitte“ und bat die Leitung der Schule persönlich um seine Aufnahme. Er ließ nicht locker und bekam schlussendlich die Zusage der Schule.

Nachdem Sahel den Pflichtschulabschlusskurs erfolgreich absolviert hatte, begann er mit der dreieinhalbjährigen Fachschule an der HTL. Derzeit besucht er bereits die 3. Klasse und kann bald die Abschlussprüfung ablegen. Anschließend möchte er an der gleichen HTL die 5-semestrige Ausbildung im Aufbaulehrgang besuchen. Diese schließt mit einer Reife- und Diplomprüfung ab und ermöglicht ihm damit den Zugang zu Universitäten und Fachhochschulen. Sahel träumt davon später eine eigene Baufirma zu gründen. Sobald er die nötigen Voraussetzungen erfüllt, möchte er die Baumeisterprüfung absolvieren.

Sahel wurde schon als Kind von seinem Vater gefördert und ermutigt. Dieser war in Afghanistan Volksschullehrer bis die Schule, in der er unterrichtete, abbrannte. Die Bildung der Kinder war für die Familie immer schon ein großes Anliegen und eine noch größere Herausforderung. Sahel weiß, dass eine gute Ausbildung nicht selbstverständlich ist. Eines Tages würde er gerne nach Afghanistan zurückkehren und seine Heimat unterstützen. „Ich möchte mein Land nicht vergessen. Ich glaube, dass Afghanistan uns braucht. Ich möchte später Häuser und Schulen bauen.“

Neben seiner Ausbildung schreibt Sahel Kurzgeschichten und Theaterstücke über seine Erlebnisse auf der Flucht und sein neues Leben in Österreich. Mit seinem Text „Berge“ gewann er den zweiten Platz des „exil-JUGEND-literaturpreises 2018“. Der Text handelt von zwei Erlebnissen in den Bergen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: seine gefährliche Flucht aus Afghanistan und ein Familienausflug in Österreich:

„Wir richteten uns in einer Linie und gingen im Gänsemarsch hinter dem Schlepper. Die kleinen Tropfen des Regens schlugen uns ins Gesicht. Der Weg war sehr schmal und schwer zu erkennen. Eiskalte Tropfen reißen mich aus dem Schlaf. Ich schrecke hoch und weiß im ersten Moment nicht, wo ich bin. „Komm schon, du Faulsack“, ruft Poldi und spritzt mir noch ein bisschen Seewasser ins Gesicht. „Wir wollen schwimmen gehen!“ Ich nehme mein Handtuch von der  Sonnenliege und gehe ihm nach. Drüben beim Badesee winken Florian und Michi schon aus einem Tretboot.“1

Sahel ist überzeugt, dass viele junge Geflüchtete ein großes Potenzial mitbringen. Ihnen fehle jedoch der Zugang zu Beratung und passenden Ausbildungen. Sein Tipp für andere junge Asylsuchende und Flüchtlinge: Informiert euch so gut wie möglich! Ihr müsst hartnäckig bleiben und dürft nicht aufgeben!

 

1Auszug aus „Berge“ von Sahel Rustami, 2018