Ein Museumsbesuch in Wien ist Teil eines Flüchtlings-Selbsthilfe-Programms für Integration
Geflüchtete Menschen haben eine Organisation gegründet, die ihnen bei der Integration in die österreichische Gesellschaft hilft.
An einem heißen Tag stehen wir in einem kühlen Museum und starren wie gebannt auf einen Bildschirm. Darauf ist die Hitze zu sehen, die unsere Körper ausstrahlen. „Sieht aus wie Kunst, ist aber Wissenschaft“, flüstert jemand.
Die Mitglieder der gemeinnützigen Selbsthilfe-Organisation „Refugees for Refugees“ (R4R) haben sich für ihren aktuellen Museumsbesuch das Technische Museum in Wien ausgesucht. „Wir haben damit begonnen, Museen zu besuchen, weil wir mehr über die österreichische Kultur erfahren wollten“, erzählt Nabila, 25, aus Afghanistan. „Das Filmmuseum, das Belvedere, … Wir haben einige schöne Dinge gesehen. Mir hat alles gefallen.“ Die Museumsbesuche sind nur ein Teil von R4Rs vielfältigem Plan, Flüchtlingen bei der Integration in einem neuen Land Selbsthilfe zu bieten.
R4R hat mittlerweile rund 150 Mitglieder und wurde von Rechtsanwältin Carolina Urrea-Herrera gegründet, die in Chile geboren wurde. „Im Jahr 2015 war ich Freiwilligenhelferin in Asylunterkünften“, berichtet sie. „Ich habe gesehen, dass die Menschen dort mehr brauchten, als Zugang zu Duschen und Nahrung. Ich fragte einige Leute, was sie vor ihrer Flucht gemacht hatten. Meine Idee war es, Ziele für sie zu finden.“
Derzeit ist Fahim Baraki, 27, aus Kabul Präsident von R4R. Er erinnert sich, als die Geflüchteten begannen, sich selbst zu organisieren. So übernahmen sie die Verantwortung, ihre Räumlichkeiten in der Asylunterkunft, in der sie zu Beginn untergebracht waren, sauber zu halten. „Es war eine Frage des Stolzes und wir konnten uns daneben ein wenig Geld dazuverdienen“, sagt er. Die Flüchtlinge kümmerten sich auch um den Garten und betrieben einen Frisörsalon und eine Schneiderei in dem Zentrum. Deutschunterricht erhielten sie von Dessislaw Pajakoff, einem Wiener mit bulgarischen Wurzeln. „Ich bin froh, dass ich die Flüchtlinge auf diesem wichtigen Teil ihres Wegs begleiten durfte“, meint Pajakoff.
So entwickelte sich R4R, auch durch Unterstützung der Wiener Behörden, zu einer vielfältigen Organisation. Mittlerweile gibt es Fußball-, Volleyball-, Tennis-, Taekwondo- und Boxmannschaften sowie Film- und Theatergruppen. R4R bringt geflüchtete Menschen durch Sport und Kultur zusammen. Weil das Asylzentrum aufgrund der sinkenden Zahl an Asylsuchenden aber geschlossen wurde, sucht die Gruppe derzeit nach einer anderen Niederlassung. Während die Suche weiterläuft, sorgt ein Kernteam dafür, dass die Organisation Refugees for Refugees bestehen bleibt. Die Museumsbesuche sind ein guter Weg, um spontan etwas unternehmen zu können.
„Ich habe das Technische Museum vorgeschlagen, weil ich es schon einmal besucht und sehr interessant gefunden habe”, erzählt Fahim, der dieses Mal leider aufgrund eines Krankenhausbesuchs nicht dabei sein konnte. Unter den MuseumsbesucherInnen sind Nabila und drei andere Afghanen – Omid, 31, Haider, 33, und Abdul, 27. Abdul arbeitete in Afghanistan als Schneider. Wir spazieren an ausgestellten Turbinen, Zügen, Flugzeugen, Brustimplantaten aus Silikon und alten Staubsaugern vorbei und erreichen das oberste Stockwerk. Von dort aus hat man eine großartige Aussicht über die frühere Sommerresidenz von Schönbrunn, die sich am anderen Ende des Parks befindet.
Wien hat das australische Melbourne auf der Economist Intelligence Unit-Liste der „lebenswertesten Städte“ überholt. Wie fühlt es sich als Flüchtling an, in einer solch angesehen Stadt zu leben? „Es stimmt, dass Wien sehr sauber ist und es hier viele schöne Parks gibt“, sagt Nabila. „Aber manche unserer Mitglieder haben Ängste und Sorgen …“ R4R-Präsident Fahims Asylantrag wurde positiv entschieden. Er ist nun anerkannter Flüchtling. Er darf sich somit einen bezahlten Job suchen und hat beinahe dieselben Rechte wie ein österreichischer Staatsbürger. Andere Mitglieder warten jedoch immer noch. „Die Ungewissheit ist schwer zu ertragen“, erzählt Nabila.
Asylsuchende können noch so viele Fähigkeiten besitzen, aber solange ihr Asylverfahren läuft, haben sie keinen Zugang zum Arbeitsmarkt – das ist nicht nur für die Betroffenen nachteilig, sondern auch für die Aufnahmeländer.
Auf dem Weg zum Museumsausgang kommen wir an ausgestellten Haushaltsgeräten vorbei, unter anderem Bügeleisen, die im Europa der 1950er-Jahre verwendet wurden. Abdul strahlt. „Ich habe solche Bügeleisen in Afghanistan benutzt, um Anzüge zu bügeln“, sagt er. Er träumt von dem Tag, an dem er seinen Beruf wieder ausüben kann.
Aus Sicherheitsgründen wurden manche Namen geändert.