Journalismuskurs bringt gute Nachrichten für Asylsuchende

Ein österreichisches Magazin bietet jungen Asylsuchenden die Chance, in die Welt des Journalismus einzutauchen.

Kursleiter Amar Rajkovic mit der Biber-Journalismusklasse. © UNHCR/Stefanie J Steindl

Die aktuellen Ausgaben der Tageszeitungen sind auf den Tischen ausgebreitet und die angehenden JournalistInnen studieren die Überschriften. Was passiert auf der Welt? Und was macht eine gute Story aus?

Sie kommen zum Schluss, dass die Geschichte von Mamoudou Gassama, dem „Spiderman of Paris“ mehr Potential für eine packende Geschichte hat, als die diplomatischen Spitzfindigkeiten zwischen den USA und Nordkorea.

Im Mai hat der 22-jährige Asylsuchende aus Mali die französische Staatsbürgerschaft verliehen bekommen, nachdem er in einer wagemutigen Aktion an der Fassade eines Wohnhauses hinauf geklettert ist, um ein Baby zu retten, das von einem Balkon zu fallen drohte.

„Er ist ein wirkliches Vorbild“, sagt ein Student. „Er macht anderen Mut.“

„Er ist auf jeden Fall ein Held“, antwortet der Kursleiter, Amar Rajkovic, „wir werden später noch genauer über seine Geschichte sprechen.“

Amar Rajkovic‘ SchülerInnen sind Asylsuchende aus dem Iran, dem Irak und Afghanistan. Sie nehmen an einem viermonatigen Journalismuskurs des österreichischen Magazins „Biber“ teil.

„Biber“ wurde 2006 vom österreichischen Journalisten Simon Kravagna gegründet. Migration und Flucht aus den Balkanländern und der Türkei haben Wien verändert. Um diese Vielfalt widerzuspiegeln, hat er AutorInnen unterschiedlicher Herkunft  für das Magazin engagiert.

Als 2015 die so genannte „Flüchtlingskrise“ begann, fühlte Kravagna: Er muss etwas tun. 2017 hat „Biber“ den ersten Kurs für anerkannte Flüchtlinge gestartet. Viele der AbsolventInnen haben anschließend Praktika oder Jobs bei anderen österreichischen Medien oder Firmen bekommen.

Der zweite Kurs, der dieses Jahr gestartet hat, richtet sich an Menschen, die noch im Asylverfahren sind. In dieser Wartezeit gibt es praktisch keinen Zugang zum Arbeitsmarkt.

Zwölf TeilnehmerInnen wurden aus 40 BewerberInnen ausgewählt. Voraussetzung war, dass man bereits Erfahrung im Medienbereich gesammelt hatte oder großes Interesse am Journalismus mitbringt. Parallel zu diesem Kurs hat „Biber“ noch einen weiteren Kurs ins Leben gerufen, der sich gezielt an geflüchtete Frauen richtet.

Am Ende des Kurses erscheinen die Arbeiten der TeilnehmerInnen in einer Spezialausgabe des Magazins. Auf diese Weise lernen sie nicht nur das Texteschreiben, sondern „Biber“ bekommt auch spannende Stories für seine LeserInnen.

„Es könnte genauso gut ich sein, der in diesem Kurs sitzt“

Rajkovic, 36, kam selbst im Alter von zwölf Jahren als Flüchtling aus Bosnien-Herzegowina nach Österreich. Er ist stellvertretender Chefredakteur bei „Biber“ und leitet den Kurs zusätzlich zu seiner journalistischen Arbeit für das Magazin. „Es könnte genauso gut ich sein, der hier sitzt“, sagt Amar Rajkovic. „Deshalb habe ich so viel Mühe in diese Kurse gesteckt. Ich habe viel Sympathie für die Flüchtlinge, ich kann es nicht abstreiten.“

„Ich hoffe, der Kurs wird mir helfen, einen Job zu finden und unabhängig zu sein.“

Amar Rajkovic spricht mit den StudentInnen auch über die Boulevard-Presse, wobei er die teilweise fremdenfeindliche Berichterstattung in den Blättern kritisch sieht.

Einige StudentInnen berichten, dass sie selbst bereits fremdenfeindliche Erfahrungen gemacht haben, aber dies hält sie nicht davon ab, optimistisch zu bleiben und an ihre Integrationschancen zu glauben.

Im Biber-Kurs haben die Asylsuchenden neben medienspezifischen Themen auch Deutsch und europäische Geschichte gelernt. Auch wenn der Kurs nicht unbedingt zu einer Karriere im Journalismus führen sollte, so ist er für die TeilnehmerInnen ein Einstieg in die Arbeitswelt.

„Ich wollte immer Journalist werden“, sagt Narges Ayubi, 20, aus Afghanistan. „Jetzt aber merke ich, dass ich viele Sprachen noch nicht gut genug spreche – Hazaragi, Dari, Deutsch, Englisch – trotzdem hoffe ich, dass mir der Kurs helfen wird, einen Job zu finden, Geld zu verdienen und unabhängig zu sein.“

Jene, die im Kurs mit Foto und Video arbeiten, haben möglicherweise einen leichteren Einstieg in den Medienbereich, als jene, die hauptsächlich Texte schreiben. Murtaza Elham, 31, aus Afghanistan, hatte bereits einige Erfahrung als Fotograf, als er mit dem Kurs begann und möchte weiter lernen.

Mortaza Haidari, 22, als Kind afghanischer Eltern im Iran geboren, hofft, dass er das erlernte Wissen aus dem Kurs für sein Buchprojekt nützen kann. Er habe „zwischen zwei Kriegen“ (Afghanistan und Syrien) gelebt und erinnert sich noch an seine entsetzliche Flucht auf dem Land- und dem Seeweg nach Europa.

Foto des Wiener Rathauses von Murtaza Elham

Das Wiener Rathaus, fotografiert von Murtaza Elham, 30, Pressefotograf aus Afghanistan und Teilnehmer des Biber-Journalismuskurses. © Murtaza Elham

Flüchtlinge tauchen in Medienkurs des österreichischen Magazins „Biber“ in die Welt des Journalismus ein.

Kursleiter Amar Rajkovic zeigt eine frühere Ausgabe des Biber-Magazins, an der Flüchtlinge aus Syrien mitgearbeitet haben. © UNHCR/Stefanie J Steindl

Flüchtlinge tauchen im Medienkurs des österreichischen Magazins „Biber“ in die Welt des Journalismus ein.

Murtaza Elham, 30 (links) und Rohullah Anifi, 23 (rechts), beide aus Afghanistan blättern in einer früheren Biber-Ausgabe und verschaffen sich einen Überblick über die österreichische Zeitungslandschaft. © UNHCR/Stefanie J Steindl

Flüchtlinge tauchen im Medienkurs des österreichischen Magazins „Biber“ in die Welt des Journalismus ein.

Murtaza Elham, 30, war Pressefotograf in Afghanistan und nimmt am Biber-Journalismuskurs teil. © UNHCR/Stefanie J Steindl

Flüchtlinge tauchen im Medienkurs des österreichischen Magazins „Biber“ in die Welt des Journalismus ein.

Rohullah Anifi, 23, aus Afghanistan. © UNHCR/Stefanie J Steindl

Flüchtlinge tauchen im Medienkurs des österreichischen Magazins „Biber“ in die Welt des Journalismus ein.

Narges Ayubi, 20, aus Afghanistan, hofft, dass ihr der Biber-Kurs hilft, einen Job zu finden und unabhängig zu sein. © UNHCR/Stefanie J Steindl

 

In der Klasse kommen die Diskussionen wieder auf die Geschichte des Helden aus Mali zurück, der das Baby in Paris gerettet hat.

„Bedeutet das für uns, dass wir jetzt durch die Straßen spazieren sollen, auf der Suche nach Kindern, die wir retten können?“, fragt ein Student.

Für Kursleiter Rajkovic ist der Fall ein exzellentes Beispiel für eine mögliche Pro-Kontra-Kolumne mit Argumenten, die dafür und dagegen sprechen, solche Heldentaten für eine bevorzugte Behandlung heranzuziehen.

„Wie könnte man diese Geschichte weiter erzählen?“ fragt er. Die StudentInnen schlagen vor, Interviews mit jenen Personen zu führen, die bei dem Vorfall dabei waren. Dabei kommt auch der Hinweis, nicht auf eine/n DolmetscherIn zu vergessen, sollten die interviewten Personen die Sprache nicht sprechen.

Und wie so oft im Journalismus, führt eines zum anderen und die TeilnehmerInnen beginnen, auch von ihren eigenen Erfahrungen während des Asylverfahrens zu erzählen. Viele davon sind schwierig, denn die Asylanträge einiger KursteilnehmerInnen wurde in erster Instanz negativ entschieden, die Berufung läuft.

Die Angst, dass sie eine finale negative Entscheidung erhalten werden oder dass ihr Asylantrag in erster Instanz abgelehnt wird, verfolgt sie.

Omid (Name geändert) erzählt, dass er vor den Taliban geflohen ist. Sie haben gedroht, ihn zu töten, dennoch wurde sein Asylantrag abgelehnt. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass er in der afghanischen Hauptstadt Kabul leben könne, auch wenn seine eigene Stadt unsicher sei.

Rajkovic journalistischer Spürsinn macht sich bemerkbar – diese Erlebnisse könnten Stoff für die neue Ausgabe liefern. Er bittet die StudentInnen über die Erfahrungen zu schreiben, die sie und ihre FreundInnen in den Asyleinvernahmen gemacht haben. „Biber“, das stets auch über schwierige Themen und „heiße Eisen“ berichtet, plant eine Ausgabe über Afghanistan. Auch die Tatsache, dass die Anzahl an abgelehnten Asylanträgen steigt, obwohl die Lage im Land selbst instabiler wird, soll in dieser Ausgabe zur Sprache kommen.