„Integration ist keine Einbahnstraße“
Kinan aus Damaskus wohnt bei der jüdischen Familie Jellinek in Berlin-Mitte. Das Bild ist Teil des Fotoprojekts “No Stranger Place”.
BERLIN, Deutschland – Kinan aus Damaskus wohnt bei der jüdischen Familie Jellinek in Berlin-Mitte.
Jeden Freitagabend kommt Familie Jellinek für das traditionelle Schabbat-Abendessen in ihrer Wohnung in Berlin-Mitte zusammen. Chaim, seine Frau Kyra und drei ihrer vier Kinder sitzen um den mit Kerzen dekorierten Tisch und sprechen bei Wein und gutem Essen religiöse Tischgebete.
Seit über einem Jahr ist auch ein ungewöhnlicher Gast Teil dieses wöchentlichen Rituals. Kinan (28), Syrer und Muslim, lebt seit November 2015 bei Familie Jellinek.
An den meisten Freitagen sitzt er mit am Tisch und steuert syrische Gerichte bei, die er in YouTube-Videos gelernt hat. Kinan hat in Damaskus im Arzneimittel-Marketing gearbeitet. Im Juli 2015 floh er aus Syrien, um nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden.
Er wollte nicht die Waffe gegen seine Landsleute richten, wie er sagt. Kinan floh über die Türkei nach Griechenland und kam im August 2015 in Deutschland an. Mit Chaim, einem Allgemeinmediziner mit eigener Praxis, kam er über die Organisation „Freedomus“ in Kontakt, die Chaim mitbegründet hat und die Asylsuchende bei Behördengängen und Übersetzungen unterstützt.
Der Zeitpunkt ihres Treffens hätte nicht günstiger sein können: Béla, der 20-jährige Sohn der Jellineks, war gerade ausgezogen. Kinan bekam sein ehemaliges Zimmer.
Chaims Frau Kyra sagt, der Alltag der Familie hätte sich mit dem Einzug Kinans kaum verändert. „Jeder tut das, was er gerne möchte. Einen Flüchtling aufzunehmen ist eine Win-Win-Situation.Integration ist so viel leichter.“
Bisher klappt es reibungslos. Kinan lernt jeden Tag Deutsch. Die Töchter Rosa (18) und Lilli (8) helfen ihm bei den Hausaufgaben. Kinan möchte unbedingt arbeiten und ist daher manchmal frustriert, wenn sich der Lernerfolg nicht schnell genug einstellt.
„Integration ist keine Einbahnstraße“, sagt Chaim. „Integration ist etwas, das wir nicht nur von den Neuankömmlingen in unserem Land erwarten sollten, sondern auch von uns selbst. Wir müssen fremdes Essen, andere Kulturen und anderes Verhalten akzeptieren. Das ist ein Prozess, der auf beiden Seiten ablaufen muss.“
Kinan stellt sich mittlerweile als Berliner vor. Er sagt, er liebt Deutschland und glaubt, seine syrischen Landsleute müssten etwas positiver in die Zukunft schauen.
„Die Menschen aus Syrien, die ich treffe, vergleichen Deutschland immer mit Syrien. Man kann das nicht vergleichen“, sagt er. „Wenn sie die Vergangenheit ruhen lassen würden, wäre die Integration schneller und besser.“