UNHCR: Eine Lösung muss sowohl realistisch als auch prinzipientreu sein

Erklärung des UN-Flüchtlingshochkommissars Filippo Grandi zur aktuellen politischen Debatte um Asyl in Europa

Flüchtlingsfrauen, die sich ehrenamtlich engagieren, treffen im Gemeinschaftszentrum in Tripoli auf Hochkommissar Grandi. © UNHCR/JEHAD NGA

Der EU-Gipfel in Brüssel zum Thema Asyl und Migration findet drei Jahre nach der Mittelmeerkrise statt, als mehr als eine Million verzweifelte Menschen das Meer nach Europa überquerten. Heute sind die Ankünfte drastisch gesunken, trotzdem hallen die Schockwellen dieses Ereignisses in der Politik immer noch nach – in der Tendenz zu restriktiven, einseitigen Ansätzen, die einige europäische Länder seither im Umgang mit Flüchtlingen und Migranten verfolgen.

Der Moment ist gekommen, die Dinge zum Besseren zu wenden. Und heute fordere ich die europäischen Staaten auf, die Gelegenheit zu nutzen, um einen neuen und einheitlichen Ansatz zu finden. Er sollte den Bedürfnissen aller Mitgliedstaaten gerecht werden, die ihre Grenzen und ihre Migrationspolitik so verwalten möchten, dass sowohl die europäischen als auch die internationalen Asylstandards, die aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen sind, eingehalten werden.

Das ist machbar. Aber Kohärenz und Einigkeit fehlen in der europäischen Herangehensweise, und zwar schon zu lange. Mitgliedstaaten, die wegen ihrer Lage, ihrer Kultur und ihren Werten miteinander verbunden sind, haben sich zum Thema Asyl und hinsichtlich der Frage, wie man Menschen vor Verfolgung, Konflikten und Krieg schützen kann, gespalten. Dies gipfelte zuletzt Anfang Juni im Fall des Seenotrettungsschiffs Aquarius, das mit etwa 600 Flüchtlingen und Migranten an Bord über mehrere Tage in keinen europäischen Hafen einfahren durfte. Solche Ereignisse gefährden sowohl das Leben der Betroffenen als auch die internationalen Übereinkommen über Seenotrettung und dürfen nicht passieren.

UNHCR bietet hier seine Unterstützung an. Wir sind bereit, gemeinsam mit den europäischen Staaten eine Lösung zu entwickeln, die sowohl realistisch als auch prinzipientreu ist. Eine, die auf Solidarität und Zusammenarbeit fusst und jüngste Tendenzen zur Verantwortungsverlagerung und anderen Massnahmen vermeidet, die sowohl Europa als auch den Flüchtlingen schaden. Eine Lösung, die sicherstellt, dass Menschen in Seenot auf transparente Art und Weise gerettet und von Land gebracht werden, und die nicht aussen vor lässt, was hinterher mit ihnen geschieht. Eine Lösung, die jeden Zweifel an der Echtheit der Fluchtgründe beseitigt und die die Rückkehr derjenigen mit einschliesst, die keine Flüchtlinge sind oder keinen anderweitigen Aufenthaltstitel haben.

Europa steht heute nicht mehr im Mittelpunkt einer Migrations- oder Flüchtlingskrise. Die Zahl der Ankünfte im Mittelmeerraum liegt auf dem Niveau vor 2014 und nähert sich wieder den historischen Durchschnittswerten. Mehr als 9 von 10 der weltweit vertriebenen Menschen befinden sich ausserhalb Europas – entweder in ihren eigenen Ländern oder in unmittelbar angrenzenden Ländern: den Ländern des Globalen Südens. Und die europäische Unterstützung, Solidarität und Zusammenarbeit mit diesen Ländern sowie mit den Transitländern ist wichtiger geworden denn je.

Auf diese gemeinsame, globale Herausforderung muss reagiert werden, gleichzeitig müssen die Ursachen, die Flüchtlinge zu gefährlichen Weiterreisen nach Europa und anderswohin treiben, angegangen werden. Notwendig dafür sind Hilfen für Aufnahmeländer und -Gemeinschaften sowie Resettlement-Plätze, die den schutzbedürftigsten Flüchtlingen legale Möglichkeiten bieten, in sichere Länder zu gelangen.

Weltweit diskutieren die Länder weiter darüber, wie die internationale Antwort auf Fluchtbewegungen durch den Global Pakt für Flüchtlinge verbessert werden kann und soll. Hierbei kann und sollte die Asylpolitik der EU ein Beispiel dafür sein, wie Flüchtlingssituationen mit Mitgefühl und Solidarität bewältigt werden können. UNHCR ist bereit, die EU und die Mitgliedstaaten bei diesen Bemühungen zu unterstützen.