Freude gemeinsam erleben

Hartmut Baust

© privat

Seit 2012 engagiere ich mich als ehrenamtlicher Vormund für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Als ich den jungen Z.* kennen lernte, für den ich künftig Verantwortung übernehmen wollte, lebte dieser bereits seit ungefähr 10 Monaten in Wuppertal. Davor war er vier Monate auf der Flucht. Z. wuchs in einem kleinen afghanischen Dorf auf, wo seine Eltern blieben, ihn aber in Sicherheit wissen wollten.

Ich erlebte Z. als liebenswerten, freundlichen und sehr strebsamen Jugendlichen, der sich mit viel Lernfreude und Begeisterung diese für ihn neue Welt in Deutschland erschloss. Doch immer wieder wurden die Belastungen deutlich, die dieser junge Mensch zu tragen hatte. Ihn quälte starkes Heimweh. Seit er geflohen war, hatte er keinerlei Kontakt mehr zu seinen Eltern, die sein Heimatdorf inzwischen auch aus Sicherheitsgründen verlassen mussten. Z. fand nachts erst gegen vier Uhr in den Schlaf. Nachmittags lag er wach im Bett und grübelte. Wo waren seine Eltern? Wie ging es ihnen?

Über einen Bekannten erfuhr Z., dass der Vater in der Nähe seines Hauses gesehen wurde. Z. schrieb einen Brief, der kopiert und an einige Dorfbewohner verteilt wurde. Wenn sein Vater erneut auftauchte, sollte er auf diese Weise gebeten werden, hier in Deutschland anzurufen.

Dieser Weg hatte Erfolg. Der Brief konnte dem Vater nach wenigen Wochen übergeben werden. Doch das Telefon blieb stumm. Kein Anruf! Irgendwann entdeckten wir einen unbe-antworteten Anruf auf dem Telefondisplay: eine afghanische Nummer, seine Eltern!

Z. und ich versuchten bis zu 50 Mal am Tag die Eltern zu erreichen. Erfolglos. Offensichtlich hatte der Vater an seinem Aufenthaltsort nicht immer Empfang. Also nicht aufgeben! Z. diktierte mir einen Satz in Lautsprache: Ich hätte dem Vater auf Paschtu sagen können, dass Z. ihn in einer Stunde anrufen könnte. Außerdem sendeten wir eine SMS mit den aktuellen Telefonnummern und einem erklärenden Text.

Und dann war es soweit! Z.s Vater hat ihn angerufen. Seine Eltern leben! Sie wohnen in einer anderen Provinz in Afghanistan. Sofort trafen Z. und ich uns. Auf einem langen Spaziergang erlebte ich – erlebten wir gemeinsam – eine erleichternde, von Herzen kommende Freude. Fast zwei Jahre hat es gedauert bis Z. wieder mit seinen Eltern sprechen konnte.

Vielleicht geht das auch mit Skype? Wo bekommen wir denn einen Laptop her? Gibt es in der Nähe der Eltern evtl. sogar ein Internet-Cafe? Ein Headset wäre doch auch super und mit einer Webcam könnte die Mutter Z. sogar wieder sehen… Diese Gedanken waren Teil unserer gemeinsamen Freude.

*anonymisiert

Hartmut Baust, ehrenamtl. Vormund für UMF im Rahmen des Projekts `Do it!`der Diakonie Wuppertal


Jede Familie, die durch Krieg zerrissen wird, ist eine zu viel

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