Ein alter Bekannter

Vor dem Syrien-Krieg wohnte Martina Schambergers Tochter während eines Arabisch-Sprachkurses in Aleppo bei Nawras Familie. 2015 stand Nawras plötzlich an der österreichischen Grenze.

© UNHCR/Aubrey Wade - Martina Schamberger, mit Ehemann Engelbert, Sohn Laurenz, Tochter Lea und Nawras.

BAD SCHALLERBACH, Österreich – Wenn sie in der kleinen österreichischen Gemeinde Bad Schallerbach einkaufen geht, stellt Martina Schamberger Nawras Ahmadook als ihren Sohn vor.

Auch die Diskussionen, die sie dabei haben, hören sich wie die zwischen Mutter und Kind an: Nawras geht zielstrebig zum Junkfood, Martina möchte ihn zurückzuhalten.

„Das ist wahrscheinlich das einzige Mal, dass Martina laut werden wollte“, sagt der 26-jährige Syrer, der fast zwei Meter groß ist.

Trotz unterschiedlicher kulinarischer Vorlieben, haben die beiden ein sehr enges Verhältnis.

„Er ist wie ein Sohn für mich“, sagt Martina stolz. „Er akzeptiert mich, ein bisschen anders als seine Mutter, und er öffnet sich mir gegenüber wie ein Freund. Wir wohnen nun schon sieben Monate zusammen und hatten nie einen größeren Streit.“

Ihre Geschichte begann 2006, als Martinas Tochter Valerie, um Arabisch zu lernen, in Aleppo, Syrien war. Nawras Familie nahm sie auf und kümmerte sich um sie. Als Valerie 2015 herausfand, dass Nawras aus Syrien geflüchtet war und sich in der Nähe der österreichischen Grenze aufhielt, rief sie sofort ihre Eltern an.

„Valerie rief mich um neun Uhr an einem Dienstagabend an und erzählte mir, dass Nawras an der Grenze sei. Sie fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, ihn aufzunehmen“, erinnert sich Martina. „Am nächsten Tag um neun Uhr in der Früh habe ich ihn abgeholt.“

Sie haben sich sofort verstanden.

Nawras war Teil des syrischen Basketball-Nationalteams, als er 2014 flüchten musste, um nicht für das Militär rekrutiert zu werden. Er ging zuerst in den Libanon, wo er fast zwei Jahre lang 14 Stunden am Tag arbeitete und sich trotzdem kaum über Wasser halten konnte. Er teilte sich eine heruntergekommene Wohnung mit fünf weiteren Syrern.

„Ich hielt gerade noch einen Basketball in der Hand und spielte bei Turnieren auf der ganzen Welt und im nächsten Augenblick wurde der Basketball durch einen Wischmopp ersetzt.“

Als seine Aufenthaltsberechtigung im Libanon auslief, musste er das Land verlassen.

„Nach allem was ich durchgemacht und zurückgelassen habe – meine Familie, meine Freunde, mein Land, mein Zuhause – wusste ich, dass ich nichts mehr zu verlieren hatte. Deswegen hatte ich auch keine Angst auf das Schlauchboot zu steigen und das Mittelmeer zu überqueren. Niemand verlässt Syrien freiwillig.“

Jetzt besucht er Deutschkurse und versucht eine berufliche Karriere in Österreich einzuschlagen. „Ich will einfach nur in Sicherheit leben und hoffe, dass ich mir hier eine Zukunft aufbauen kann. Egal wie schön es hier ist – Heimat ist unersetzlich.“

Martina ist sich sicher, dass er in Österreich gut zurechtkommen würde. „Er wird immer Teil unserer Familie bleiben, egal wohin er danach geht.“

Die Erfahrungen der Schambergers inspirierten Freunde einen Flüchtling aufzunehmen. „Die Leute beobachten uns genau. Jeder der Nawras trifft, liebt ihn. Vielleicht können wir ein positives Beispiel für andere sein.“