Happy End für einen syrischen Schauspieler in Wien

Johnny Mhanna studierte in Damaskus Schauspielerei bevor er 2012 fliehen musste. Nach seiner Flucht rechnete er nicht damit, seinen Traum weiter verfolgen zu können. Jetzt steht er erneut auf der Bühne.

Johnny Mhanna in dem Stück „Die Schutzbefohlenen“ nach einer Geschichte von Elfriede Jelinek. © UNHCR/Mark Henley

WIEN, Österreich – Johnny Mhanna war erst elf Jahre alt als ihn seine Tante 1999 das erste Mal mit ins Theater in Damaskus nahm. Es wurde zum Beginn einer lebenslangen Leidenschaft für die Bühne und die Schauspielerei. „Diesen Tag werde ich nie vergessen“, sagt er. „In dem Augenblick, in dem ich das Theater betrat, hatte ich diesen Duft in der Nase – den gleichen Geruch, den ich seitdem in jedem Theater auf der ganzen Welt rieche. Für mich ist das der Duft der Freiheit.“

Der 24 Jahre alte Syrer lacht, während er im Zuschauerraum des Schauspielhauses in Wien sitzt: „Natürlich rieche es hier jetzt auch!“ Nach einer riskanten Flucht aus dem Libanon und einer von Angst geprägten Zeit seit seiner Ankunft in Wien im August 2015 hat Johnny nun vor kurzem Asyl in Österreich erhalten – ein glückliches Ende nach Jahren der Unsicherheit.

Johnny, der in einer christlichen syrischen Familie aufwuchs, hat Schauspiel und Französische Literatur studiert und träumte immer davon, nach Hollywood zu gehen. Seine Pläne und Träume rückten in weite Ferne als Syrien 2011 in den Bürgerkrieg abglitt. Johnnys Vater, ein Geschäftsmann, wurde verhaftet und nach drei Tagen im Gefängnis tot aufgefunden. 2012 drohte Johnny die Einberufung zum Militärdienst, .

Die Flucht in den Libanon

„Um nichts zu riskieren, verließ ich das Land drei Monate bevor ich mich bei der Armee hätte melden müssen“, sagt er. Kurz vor Weihnachten 2012 floh Johnny aus Damaskus und überquerte die Grenze in den Libanon. „Meine Großmutter mütterlicherseits ist aus dem Libanon, daher war ich schon immer mit dem Land und seiner Kultur verbunden. Aber das erste Jahr war hart für mich, obwohl die Menschen dort dieselbe Sprache sprechen, nur mit einem anderen Akzent.“

Um Geld zum Leben zu verdienen, nahm Johnny Gelegenheitsjobs in Cafés und Bars an. Ziemlich schnell knüpfte er auch Kontakte in der lokalen Theater- und Filmszene. Er trat in Werbespots, Bühnenstücken, zwei Spielfilmen, acht Kurzfilmen und zwei TV Serien auf.

Anfang 2015 wurde das Leben in Beirut für ihn allerdings unmöglich. Die libanesische Regierung erließ Aufenthaltsbeschränkungen für syrische Flüchtlinge, die unter anderem die Notwendigkeit eines libanesischen Bürgen vorsahen. Diejenigen, die von UNHCR als Flüchtlinge registriert worden waren, durften nur im Land bleiben, wenn sie sich verpflichteten, keiner Arbeit nachzugehen. Johnny konnte seinen Status noch einmal erneuern, aber wie sollte er ohne Arbeitserlaubnis überleben?

Keine Arbeitserlaubnis im Libanon

„Ich habe die Verpflichtungserklärung, im Libanon nicht zu arbeiten, unterschrieben. Aber wenn die Polizei mich gefasst hätte, wäre eine Strafe von drei Millionen libanesischen Pfund fällig gewesen, etwa 1.800 Euro. Und ich konnte keinen libanesischen Bürgen finden. Was sollte ich tun?“

Im August 2015 entschied Johnny, sich auf die gefährliche Reise nach Europa zu begeben und hoffte, Wien zu erreichen, wo bereits zwei seiner Onkel lebten. Zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren brach er auf, um ein neues Leben zu beginnen. „Es ist wirklich hart, aber wenn man sich einmal entschieden hat, wegzugehen, kann man nicht mehr zurückschauen“, sagt er. „Wenn du einmal das Ticket in Richtung Türkei gekauft hast, solltest du deine Vergangenheit vergessen.“

Zusammen mit 45 anderen Flüchtlingen erreichte er in einem Schlauchboot nach einer grauenhaften mehr als zweieinhalbstündigen Überfahrt über die Ägäis die griechische Insel Lesbos. In Mytilini, der Hauptstadt der Insel, angekommen, erreichte Johnny die WhatsApp-Nachricht seiner Tante aus Wien. Sie schickte ihm das Inserat eines Wiener Theaters, das auf der Suche war nach „Flüchtlingen mit Erfahrungen in der Theaterproduktion“.

Johnny betritt die Bühnen in Wien

„Ich sagte mir: Wie viele Flüchtlinge gibt es wohl mit Theatererfahrung – einen, zwei, drei, vier, fünf? Nicht zu viele jedenfalls. Ich habe eine gute Chance!“

Bevor er den Libanon verließ, war sich Johnny sicher, dass er in Österreich die Schauspielerei für ein paar Jahre würde aufgeben müssen, weil er kein Deutsch sprach. Sobald er allerdings im ersten Auffangzentrum ankam, änderten sich die Dinge.

Schon nach wenigen Tagen wurde er vom Künstlerkollektiv „Die schweigende Mehrheit sagt Ja“ für eine Rolle in „Die Schutzbefohlenen“, einem Stück der österreichischen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, ausgewählt. Jelinek hatte das Stück geschrieben, nachdem im November 2012 eine Gruppe von Geflüchteten Zuflucht in der Votivkirche in Wien gesucht hatte.

Die Besetzung bestand aus mehreren Flüchtlingen sowie sechs professionellen österreichischen Schauspielern. Unter den Flüchtlingen war Johnny der einzige mit Schauspielerfahrung. Nur einen Monat nachdem er die 2.000 Kilometer lange Reise von Beirut aus als Flüchtling zurückgelegt hatte, stand er am 12. September 2015 für die Premiere der Produktion in Wien auf der Bühne. Das Stück erhielt bei der Verleihung des prestigeträchtigen österreichischen Nestroy-Theaterpreises eine Spezialauszeichnung.

Johnny ist voll des Lobes für die österreichische Bevölkerung. „Ich wurde nur sehr selten als stereotyper Flüchtling behandelt. Was ich an Österreich wirklich liebe, ist, wie sehr sich die Menschen hier gegenseitig respektieren. Die sechs österreichischen Schauspielkollegen sind mittlerweile sehr gute Freunde von mir geworden – großartige Leute. Sie lassen einen nach einem Abend im Theater nicht einfach stehen.“

Während er mit dem Künstlerkollektiv auf Tour war, entschied Johnny sich, der Nachricht zu folgen, die ihm seine Tante geschickt hatte. Er ging zu einem Vorsprechen für „Outsiders“, ein experimentelles Theaterstück, in welchem 13 Menschen mit verschiedenen Hintergründen zusammen in einer U-Bahn stranden, als diese liegen bleibt. Johnny spielte zwei Rollen, einmal in Anlehnung an die „Verwandlung“ von Kafka einen Touristen, der sich in einen Käfer verwandelt, und einmal einen Teenager aus Tirol mit schwerem österreichischem Akzent.

Regisseur Jakub Kavin war beeindruckt von Johnnys Haltung. „Es war ein großes Geschenk für mich, mit einem professionellen syrischen Schauspieler zusammenzuarbeiten“, erzählt er. „Von Beginn an arbeitete er total fokussiert und konzentriert.“

Johnny schaut optimistisch auf sein neues Leben in Österreich. „Es ist wundervoll, neue Sprachen zu lernen und neue Menschen kennenzulernen“, findet er. „Ich liebe einfach die Idee, als professioneller Schauspieler in drei verschiedenen Ländern zu arbeiten.“

Natürlich vermisst Johnny seine Freunde und Familie in Damaskus und Beirut, vor allem seine Mutter, die immer noch in Damaskus lebt. Er hofft, dass der Krieg in Syrien früher oder später endet, aber er kann sich nicht mehr vorstellen, wieder dort zu leben. Zu viel ist seitdem passiert.

„Wenn der Krieg vorbei ist, könnte ich österreichischen Schauspielern Arabisch beibringen und sie auf die Bühne nach Syrien schicken“, sagt er mit einem Lächeln.

Von Henriette Schroeder, Übersetzung UNHCR Österreich