Syrischer Surfer findet Zuflucht in Libanons Wellen

Bevor Alis Familie in den Libanon geflohen ist, hat er das Meer noch nie gesehen. Er hat sich in die Wellen gewagt und ist nun Teil der jungen Surf-Community im Libanon.

Der 16-jährige Ali mit seinem Surfboard am Strand von Jiyeh. ©UNHCR/Hussein Baydoun.

Ali Kassem liegt flach auf seinem Surfbrett, paddelt und wartet bis ihm das Meer die perfekte Welle bringt. Plötzlich richtet er sein Board in Richtung Küste, stellt sich auf und nimmt die nächste Welle. Es sieht mühelos aus.

Sein Selbstbewusstsein im Wasser lässt nicht vermuten, dass der 16-jährige Ali bis vor ein paar Jahren nicht einmal schwimmen konnte. Ali ist in Aleppo, Syrien aufgewachsen, das nicht am Meer liegt. 2011 ist er mit seiner Familie in den Libanon geflüchtet, wo sie sich in der alten Küstenstadt Jiyeh, 28 Kilometer südlich von Beirut niedergelassen haben.

Die Gegend beheimatet die junge Surfszene des Libanons. Als Ali zum ersten Mal die Einheimischen Wellenreiter sah, war er sofort fasziniert.

Zuerst brachte er sich selbst das Schwimmen bei. Danach sah er monatelang von einer Klippe am Strand aus den Surfern zu und studierte ihre Techniken und Bewegungen.

„Durch das Surfen habe ich gelernt stark zu sein und gesehen, dass nichts unmöglich ist“

Jetzt ist er einer von ihnen. An seinem von der Sonne aufgehelltem Haar erkennt man die vielen Stunden, die er im Meer verbringt. Inmitten all der Schwierigkeiten, die sein Leben mit sich bringt, wurde der schmale Streifen an der Küste sein Zufluchtsort und die Surfer seine zweite Familie.

„Durch das Surfen habe ich gelernt stark zu sein und gesehen, dass nichts unmöglich ist“, sagt Ali. „Wenn du etwas machen willst, mach es.“

Sein Surf-Mentor lächelt als er sich an sein erstes Treffen mit Ali und an seine ersten Versuche in den Wellen erinnert. Der 34-jährige Ali El Amine ist ein libanesisch-amerikanischer Surfer, der „Surf Lebanon“, eine Surfschule betreibt. Gemeinsam mit einem Freund kam Ali an einem kühlen Tag im April vor zwei Jahren vom Surfen zurück und hat Ali zum ersten Mal gesehen.

“Wir haben diesen kleinen Jungen mit einem Board aus Styropor gesehen, wie er am Ufer stand”, erinnert sich El Amine. Ali hat sich mit der Styroporplatte, die er am Strand gefunden hat, ein Surfbrett gebastelt. Sie haben nicht gedacht, dass er riskieren würde, damit in die bewegte See zu gehen. Es war gefährlich, insbesondere ohne Übung und noch dazu ohne passende Ausrüstung.

Wann immer es das Meer erlaubt hat, traf Ali El Amine und seine Crew am Strand. In dieser Gruppe ist es nebensächlich, dass Ali Flüchtling ist. Er reitet die Wellen mit Libanons besten Surfern. Es herrscht zwar ein Wettbewerb zwischen ihnen, dennoch passen sie aufeinander auf und geben einander Tipps wie sie sich verbessern können.

„Am Ende des Tages ist er ein Mensch,“ sagt El Amine. „Er atmet und er blutet. Ich sehe ihn nicht als jemanden, der aus einem anderen Land kommt oder eine andere Religion hat. Er hat bloß Lust zu surfen und das ist alles was zählt.“ El Amine behandelt seinen jungen Schützling, den er „Kleiner Ali“ nennt, wie seinen Bruder oder Sohn. Manchmal setzt er Surfstunden ein, um ihn für gute Noten in der Schule zu belohnen. Schlechtere Noten bedeuten weniger Stunden am Surfbrett.

Das Surfen erlaubt Ali sich auf die Gegenwart und die Zukunft zu konzentrieren, anstatt auf seine schmerzhafte Vergangenheit. Sein älterer Bruder wurde vor fünf Jahren bei einem Bombenanschlag auf eine Bäckerei in seiner Nachbarschaft in Aleppo getötet. Kurz darauf ist die Familie in den Libanon aufgebrochen. Ali sagt, er kann sich ansonsten nur mehr wenig an Syrien erinnern.

„Wenn ich surfe, vergesse ich alles“

“Wenn ich surfe vergesse ich alles,” sagt Ali. „Auch wenn ich gerade etwas im Kopf habe, vergesse ich das, sobald ich im Wasser bin“:

Im Libanon leben eine Million syrischer Flüchtlinge. Eine massive Zahl für ein kleines Land mit ca. vier Millionen EinwohnerInnen. Die Hilfseinrichtungen sind überstrapaziert und viele Flüchtlinge haben keinen Zugang zu angemessenen Unterkünften, medizinischer Versorgung oder Bildung.

Ali weiß zu schätzen, dass er und seine Familie in einer Wohnung leben. Aber das Geld ist knapp. Sein Vater, ein Tagelöhner, findet nicht genug Arbeit, um seine fünf Kinder im Libanon zu unterstützen.

Die finanziellen Schwierigkeiten sind auch die Ursache dafür, dass Ali seine Schulbildung vorübergehend abbrechen musste. Manchmal hilft er im Surfshop aus, um ein wenig Geld zu verdienen, aber er plant ab Sommer wieder in die Schule zu gehen.

Sein Traum ist die Teilnahme an den Weltmeisterschaften und ins Ausland zu reisen, um die besten Wellen zu finden. Wenn der Krieg vorbei ist,will Ali wieder zurück nach Syrien gehen, um dort seine eigene Surfschule zu eröffnen. “Er war auf halbem Weg im Wasser, er hatte keine Sicherungsschnur an seinem Board und das Wasser war kalt. Also haben wir nach ihm gerufen und gesagt er soll zurückkommen.“ Erzählt El Amine. Aber Ali hat sich geweigert: „Ich habe ihnen gesagt, dass ich es versuchen will.”

Daraufhin folgte ein Wortgefecht zwischen Ali und El Amine. El Amine hat Ali daraufhin einen Vortrag über Sicherheit gehalten. Er war gleichzeitig aber beeindruckt von seinem Mut und seiner Entschlossenheit. El Amine hat ihm daraufhin ein richtiges Surfbrett und einen Surfanzug geschenkt und gab ihm Surfstunden.“ „Der Rest,“ sagt er, „ist Geschichte.“

“Ich konnte mich schon bei der ersten Welle die ich geritten bin, am Board aufstellen,“ erzählt Ali. „Ich habe es geliebt und bin jeden Tag wieder hier hergekommen. Es ist ein unglaubliches Gefühl“.