Rahmo Aden, Kenia

Markus Haefliger, 2014

Markus Haefliger, 2014

Ich habe fast mein ganzes Leben im Flüchtlingslager Dadaab in Kenya verbracht. Als in Somalia der Krieg ausbrach, war ich ein Baby. Ich war bei Ausbruch der Kämpfe von meinen Eltern getrennt worden; meine Grossmutter nahm mich mit auf die Flucht. Meine Eltern kamen später nach. Mein Vater ist gestorben; ich lebe mit meiner Mutter in Ifo 1, dem ältesten Flüchtlingscamp in Dadaab mit 90.000 Bewohnern.

Unsere Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt. Ich verliess Dadaab nur drei Mal für jeweils zwei, drei Wochen. Das war 2010. Ich absolvierte ein Fernstudium in Community Development (Wohlfahrt im Gemeinwesen), ein Teil der Kurse fand in Nairobi statt.

Das Uno-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hat mich als Dolmetscherin angestellt. In Dadaab sind wir 43 solche Dolmetscher. Wir übersetzen, wenn Flüchtlinge Anliegen gegenüber den Behörden oder Hilfsorganisationen vorbringen. Es ist eine volle Stelle, für die wir 9000 kenyanische Shilling (102 Dollar) pro Monat bekommen. Die Arbeit ist oft undankbar. Wenn zum Beispiel ein Flüchtling nach einem Bewerbungsgespräch nicht auf die Kandidatenliste für Umsiedlungen nach Amerika oder England kommt, dann gibt man uns die Schuld. «Du hast nicht richtig übersetzt», heisst es dann, und manchmal auch, ich würde Antragsteller aus meinem Clan bevorzugen. Das ist natürlich nicht wahr; ich bin ja nur die Dolmetscherin.

Zurzeit bilde ich mich in einem Fernkurs der Universtität Genf weiter und hoffe, in das Programm für ein Diplom in Interpreting in Conflict Zones (Dolmetscher für Konfliktzonen) aufgenommen zu werden. Die Kurse werden in einem Sprachlabor abgehalten, das im Mai aufgestellt wurde. Es besteht aus einem modern ausgestatteten Container mit zehn Computer-Arbeitsplätzen. Alles wird mit Solarenergie betrieben.

Am Wochenende gehe ich aus. In Dadaab heisst das, dass ich Freundinnen besuche, die in einem der anderen vier Camps leben. Ich habe zwei sehr gute Freundinnen. Wie meine Zukunft aussieht, weiss ich nicht. Kenya übt Druck auf uns Somalier aus. Im Moment könnte ich nicht mehr nach Nairobi, selbst wenn dies für meine Weiterbildung nötig wäre. In Nairobi wirst du verhaftet, aber in Somalia bringen sie dich um. Ich denke nicht an eine Rückkehr. In Dadaab haben wir Zugang zu kostenlosen Schulen und medizinischer Betreuung und wir fühlen uns sicher. Ich hoffe, nach Grossbritannien auswandern zu können; letztes Jahr nahm die britische Botschaft mein Gesuch entgegen. Ich schätze, meine Chancen stehen 50:50.

Die traditionelle Kultur hindert Mädchen daran, in die Schule zu gehen. Das erfuhr ich am eigenen Leib. Als ich fünfzehn war, wollte mich meine Großmutter einem Mann zur Frau geben. Ich sagte «Nein» und lief davon. Ich übernachtete im Haus meines Lehrers, einem Sudanesen, der mich ermutigte. Aber jetzt hiess es, ich sei eine Prostituierte. Ich zog zu Verwandten, die meine Eltern schliesslich zu Nachsicht überredeten. Und ich bekam recht! Als ich die Anstellung vom UNHCR bekam und den ersten Lohn nach Hause brachte, gaben meine Eltern zu, dass es die richtige Entscheidung gewesen war.

Aufgezeichnet: Markus Haefliger, NZZ


Jede Familie, die durch Krieg zerrissen wird, ist eine zu viel

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