Von Zufall zu neuem Zuhause

Wilhelm und Brian sind seit 25 Jahren ein Paar. Auf einer Zugfahrt trafen sie Inas aus Syrien und blieben über WhatsApp in Kontakt. Zehn Tage später zog er bei ihnen ein.

Wilhelm und Brian sind seit 25 Jahren ein Paar und leben in Berlin nun mit Inas aus Syrien (links) zusammen. © UNHCR/Aubrey Wade

BERLIN, Deutschland – Inas hatte einen Freund aus Syrien besucht und war auf dem Weg zurück nach Berlin. Unsicher, ob er tatsächlich im richtigen Zug ist, fragte er Brian und Wilhelm, die neben ihm saßen. Mit Hilfe von Googles Übersetzungsprogramm entwickelte sich ein Gespräch und die Drei tauschten Nummern aus.

Inas kannte noch niemanden in der Stadt und wohnte zu der Zeit in einer Notunterkunft. „Durch WhatsApp waren wir täglich in Kontakt – morgens, mittags, abends“, sagt Inas. Kurz darauf musste er in eine Turnhalle umziehen, die zur Notunterkunft umgebaut wurde. Inas musste sich die Halle mit 200 anderen Menschen teilen. Die fehlenden Matratzen auf den Betten verschlimmerten seine Rückenprobleme, die ihn seit einem Bandscheibenvorfall plagten. Als Brian und Wilhelm ihn in der Unterkunft besuchten, sagten Sie ihm, dass er gern für ein paar Tage bei ihnen wohnen könne.

Während eines Termins mit den Behörden wurde Inas gefragt, ob er Freunde in Berlin hätte. Er schrieb Brian und Wilhelm eine SMS und fragte, ob er ihre Namen angeben könne.

„Als er fragte, ob er uns als Freunde angeben könne“, erzählt Wilhelm, „sagten wir ‚selbstverständlich kannst du unsere Adresse angeben. Lass deine Post hierher senden und gern kannst du auch bei uns für ein paar Tage wohnen‘. Wir sagten ihm er solle den Behörden unsere Nummer hinterlassen für den Fall, dass sie Fragen hätten, da wir zu der Zeit noch einige Verständigungsprobleme hatten.“

Von den Behörden bekam Inas daraufhin ein Dokument, das ihm den Aufenthalt für drei Monate erlaubte. Auf der dritten Seite stand: „der Besitzer dieses Dokuments verpflichtet sich an der folgenden Adresse zu wohnen“. Dahinter stand die Adresse von Brian und Wilhelm.

„Wir waren natürlich erstmal überrascht“, sagt Brian. „Zuerst waren wir total unsicher, was das alles bedeuten würde. Drei Monate sind schließlich eine lange Zeit. Aber nachdem wir mit unseren Freunden darüber gesprochen hatten, beschlossen wir: Lasst es uns tun!“

„Wir wollten die ganze Zeit schon helfen“, sagt Wilhelm, „aber wir wussten nicht so richtig, wo wir anfangen sollten. Plötzlich kam diese Gelegenheit, einer sehr netten Person zu helfen, quasi wie auf dem Silbertablett.“

„Wir wussten, dass wir Inas vor seinem Einzug bei uns sagen mussten, dass wir schwul sind“, berichtet Wilhelm. Aber wie? Inas sprach immer noch nur ein paar Brocken Deutsch und Englisch. Wilhelm und Brian hatten 2011 geheiratet. „Wir zeigten ihm unsere Hochzeitsbilder. Er gab uns die Hand und sagte ‚kein Problem‘, wie er das bei allem zu sagen pflegt.“

Schwierig wurde es erst als das Trio um einen Hundewelpen erweitert wurde – Gorki, ein energiegeladener Entlebucher Sennenhund. Für alle Drei war es eine neue Situation aber für Inas eine wirklich Herausforderung, da er nicht gewöhnt war, dass Hunde als Haustiere gehalten werden. „Einmal sah ich Brian dabei zu, wie er mit Gorki spielte und kuschelte“, erzählt Wilhelm. „Inas war sichtlich schockiert. Aber stell‘ dir vor, du gehst irgendwohin und jemand knuddelt mit einer Ratte. Das wäre doch eklig.“ Mittlerweile hat aber auch Inas Gorki ins Herz geschlossen.

In Damaskus hatte sich Inas ein eigenes Unternehmen für Brautmoden aufgebaut und beschäftigte 60 Mitarbeiter. Als er schloss, um zu fliehen, nahm er nur ein paar Taschen mit.

Inas erzählt, dass es nach seiner Ankunft in Deutschland am schwersten für ihn war, dass er nichts in seiner Umgebung lesen oder verstehen konnte. „Plötzlich war ich kein erwachsener Mann mehr, der mitten im Leben stand. Ich fühlte mich wie ein Kind. Brian und Wilhelm halfen mir mit allem: Sprachschulen zu finden, in Berlin mobil zu sein, Ärzte für mein Rückenleiden aufzusuchen. Komplett hilflos zu sein war für mich am schwersten.“

Nach einer gewissen Zeit der Gewöhnung hat das Trio nun seinen Rhythmus gefunden. „Es war bisher wie in einer Familie“, beschreibt Wilhelm. „Wenn wir nicht irgendwas Anderes gemacht haben, kochten und aßen wir zusammen. Wir haben uns nicht in unserer normalen Lebensweise eingeschränkt gefühlt, obwohl wir ein altes Ehepaar sind“, scherzt Wilhelm.

„Ich plane in Berlin zu bleiben“, sagt Inas. „Ich mag die Stadt. Alles ist nun besser. Ich habe keine Schmerzen mehr, habe eine neue Wohnung, in die ich bald ziehen will und habe viele Leute kennengelernt.“ Inas hatte in Damaskus Modedesign studiert und konnte bei einem Berliner Fashion-Label Praxiserfahrung sammeln. „Das ist mein Beruf“, sagt Inas, „darin will ich weitermachen.“

„Ich habe einige Freunde aus Syrien hier in Deutschland. Aber sie sind über das ganze Land verteilt. In Berlin sind alle meine Freunde neue Freunde.“

„Momentan ist es so wichtig, dass man positive Geschichten weitererzählt. Nachdem Inas bei uns eingezogen war, erzählten wir einem Nachbar davon, der daraufhin auch einen Flüchtling für vier Wochen aufnahm“, erinnert sich Wilhelm.