Thueringisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 30. October 1996-2 BvR 1024/95
Publisher | Germany: Oberverwaltungsgericht |
Author | Thueringisches Oberverwaltungsgericht |
Publication Date | 30 October 1996 |
Citation / Document Symbol | 2 BvR 1024/95 |
Cite as | Thueringisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 30. October 1996-2 BvR 1024/95, 2 BvR 1024/95, Germany: Oberverwaltungsgericht, 30 October 1996, available at: http://www.refworld.org/cases,DEU_THUER_OBER,3ae6b7338.html [accessed 25 June 2017] |
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Thueringisches Oberverwaltungsgericht, 30 Oct. 1996
Leitsatz (nicht amtlich):
Die Drittstaatenklausel greift nicht ein, wenn ein Asylbewerber während des Asylverfahrens kurzfristig in einen der Vertragsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens reist und von dort nach Deutschland zurückkehrt.
Aus dem Tatbestand:
Die KI. sind jugoslawische Staatsangehörige albanischen Volkstums sowie moslernischen Bekenntnisses und verteidigen im Berufungsrechtszug die Verpflichtung der Bekl., sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, daß ein Verbot der Abschiebung politisch Verfolgter bestehe und Abschiebungshindernisse gegeben seien. Die Klin. zu 2 ist die Ehefrau des Kl. zu 1, die Klin. zu 3 bis 7 sind ihre gemeinsamen Kinder.
Am 28.11.1991 reisten die Kl. zu 1 bis 5 auf dem Luftweg kommend mit Reisepässen der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien in die BR Deutschland ein; die Klin. zu 6 und zu 7 wurden später im Bundesgebiet geboren. Zur Niederschrift der Ausländerbehörde des Landrats des M.-T.-Kreises stellten die Kl. zu 1 bis 5 am 5.12.1991 Asylantrag.
Durch Bescheid vorn 18.7.1994 lehnte das Bundesarnt es ab, die Kl. als Asylberechtigte anzuerkennen, stellt fest, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AusIG nicht vorlägen sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AusIG nicht gegeben seien, und drohte den Kl. an, daß sie nach Jugoslawien abgeschoben würden, falls sie die BR Deutschland nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheiudng verlassen sollten, wobei die Ausreisefrist im Fall einer Klageerhebung einen Monat nach dem unanfechtbaren Abschluß des Asylverfahren enden und sie auch in einen anderen Staat abgeschoben werden könnten, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei.
Am 9.8.1994 ist bei dem VG Weimar die Klageschrift vom 8.8.1994 eingegangen. Das VG Weimar hat durch Urteil vom 14.9.1995, das im Einverständnis der Kl. und Bekl. ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, die Bekl. unter Aufhebung des Bescheids vom 18.7.1994 verpflichtet, die Kl. als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AusIG und des § 53 AusIG vorlägen.
Das ThürOVG hat durch Beschluß vom 7.5.1996 die Berufung zugelassen. Zur Begründung verteidigen die Kl. das verwaltungsgerichtliche Urteil und machen darüber hinaus geltend. Der Kl. zu 1 sei Mitglied der Lidhja Demokratike e Kosovës (LDK) und habe umfangreiche Nachfluchtaktivitäten entfaltet; so habe er am 22.4.1996 an einer Demonstration vor dem europäischen Parlament in Luxemburg teilgenommen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die zugelassene Berufung des Beteiligten ist begründet, denn die Kl. haben weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte (A) noch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AusIG (B) oder des Bestehens von Abschiebungshindernissen iSd § 53 AusIG (C). Darüber hinaus erweist sich auch die im angegriffenen Bescheid erlassene Abschiebungsandrohung als in vollem Umfang rechtmäßig (D). Unter Abänderung des angegriffenen Urteils ist deshalb die Klage abzuweisen.
A.
Die Kl. sind nicht als politisch Verfolgte iSd Art. 16a Abs. 1 GG anzuerkennen. Zwar kann sich der Kl. zu 1 auch weiterhin auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen, obwohl er sich während des laufenden Asylverfahrens in einen sicheren Drittstaat begab und von dort aus (wieder) ins Bundesgebiet einreiste (I),doch sind bei ihm - wie bei den Klin. zu 2 bis 7 - die Voraussetzungen für eine Anerkennugg als Asylberechtigte nicht gegeben (II).
I.
Ein Anspruch des Kl. zu 1 auf Anerkennung als Asylberechtigter ist nicht bereits dadurch ausgeschlossen, daß er während des Gerichtsverfahrens das Bundesgebiet am 22.4.1996 zur Teilnahme an einer Demonstration im Großherzogtum Luxemburg verließ, von dort zurückkehrte und damit nach dem 1.7.1993 aus einem sicheren Drittstaat kommend in die BR Deutschland einreiste.
Wortlaut und Systematik der Drittstaatenregelung in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GG, § 26a Abs. 1 Sätze 1, 2 AsylVfG schließen zwar deren Anwendung auf den Fall einer Wiedereinreise aus einem sicheren Drittstaat nach Asylantragstellung in der BR Deutschland nicht aus. Die Wendung »... wer aus einem Mitgliedstaat der EG... einreist«, verlangt nicht ausdrücklich, daß die Einreise zeitlich vor der Asylantragstellung im Bundesgebiet liegen muß, also nur im Sinne einer Anreise verstanden werden kann. Auch ist kein systematischer Zusammenhang erkennbar, der annehmen läßt, daß diese Regelung nur so zu verstehen sei. Insbesondere besteht kein Junktim zwischen dem Ausschluß vom Recht auf Asylgewährung wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat und der Möglichkeit, den betreffenden Ausländer wieder in diesen sicheren Drittstaat abzuschieben (vgl. Urteil des Senats vom 7.11.1996 - 3 KO 784/96 -). Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat bei der Umsetzung des »Asylkompromisses« vom 6.12.1992 den Fall offenbar nicht bedacht, daß ein Asylbewerber während des laufenden Asylverfahrens das Bundesgebiet zeitweise in einen sicheren Drittstaat verlassen und von dort wieder ins Bundesgebiet zurückkehren könnte (vgl. BT-Drs. 12/4152, S. 3 f.).
Allerdings folgt aus Sinn und Zweck der Drittstaatenregelung des Art. 16a Abs. 2 Sätze 1, 2, § 26a Abs. 1 Sätze 1, 2, Abs. 2 GG, daß »einreisen« im Sinne von »anreisen« zu verstehen ist (so tendenziell wohl auch das BVerfG, EZAR 208 Nr. 7). Denn die Drittstaatenregelung geht davon aus, daß der Ausländer, der »in seinem Herkunftsstaat möglicherweise politisch Verfolgter war, aber über einen Drittstaat einreist, in welchem die Anwendung der GK und der EMRK sichergestellt ist,... keines Schutzes in der BR Deutschland mehr« bedürfe (BT-Drs. 12/4152; vgl. auch BVerfG, EZAR 208 Nr. 7). Daraus folgt, daß »ein vor politischer Verfolgung Flüchtender in dem ersten Staat um Schutz nachsuchen muß, in dem es ihm möglich ist« (BT-Drs. 12/4450, S. 20). Dies war im Fall des Kl. zu 1 (wie der übrigen Klin.) aber die BR Deutschland und nicht das Großherzogtum Luxemburg. Maßgebend für die Behandlung seines Asylbegehrens ist damit Art. 16a Abs. 1 GG, demgemäß in der BR Deutschland politisch Verfolgte Asylrecht genießen.
Würde die Drittstaatenregelung auch bei einer nachfolgenden Aus- und Wiedereinreise eingreifen, so würde der Asylsuchende die einmal in Übereinstimmung mit der Konzeption der Drittstaatenregelung erlangte Rechtsposition (hier: die Möglichkeit, sich auf Art. 16a Abs. 1 GG zu berufen) verlieren. Dafür, daß mit der Drittstaatenregelung eine derart weitreichende Rechtsfolge gewollt ist, finden sich keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte. Die Konzeption der Drittstaatenregelung muß auch im Zusammenhang der in Art. 16a Abs. 5 GG zum Ausdruck kommenden Vorstellung des verfassungsändernden Gesetzgebers verstanden werden, eine Grundlage zu schaffen, um durch völkerrechtliche Vereinbarungen der Zuständigkeit für die Prüfung von Asylbegehren und die gegenseitige Anerkennung von Asylentscheidungen eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge mit dem Ziel einer Lastenverteilung zwischen den an einem solchen System beteiligten Staaten zu erreichen (BVerwG, EZAR 208 Nr. 7). Nur im Hinblick darauf begrenzt Art. 16a Abs. 2 GG den persönlichen Geltungsbereich der Gewährleistung in Art. 16a Abs. 1 GG auf diejenigen Asylsucbenden, die nach ihrer Flucht erstmals in der BR Deutschland Schutz vor politischer Verfolgung suchen können. Mit Blick auf diese Konzeption ist die Tragweite der Drittstaatenregelung zu begrenzen. Sie ist auf die Fälle beschränkt, in denen der AsyIsuchende vor der erstmaligen Einreise in die BR Deutschland nach der Flucht bereits in einem sicheren Drittstaat Schutz hätte finden können.
Die Drittstaatenregelung kann nur dann erneut zum Zuge kommen, wenn eine Ausreise aus der BR Deutschland zusammen mit weiteren Umständen zur Erledigung des ersten Asylantrags führt. Unter welchen Voraussetzungen das der Fall (und bei einer Wiedereinreise in die BR Deutschland von einem neuen Asylbegehren auszugehen) wäre, bedarf im vorliegenden Fall keiner näheren Prüfung. Denn der Kl. zu 1 hat die BR Deutschland nur für einige Stunden zum Zweck der Teilnahme an einer Demonstration verlassen. Hier sind Anhaltspunkte für eine Erledigung seines Asylbegehrens nicht ersichtlich.
Mit dieser Auslegung des Art. 16a Abs. 2 GG steht die einfachgesetzliche Regelung des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 AsylVfG iVm Art. 30 Abs. 1 Bst. e des Übereinkommens zur. Durchführung des Übereinkommens vom 14.6.1985 zwischen den Regierungen der Staaten der BENELUX-Wirtschaftsunion, der BR Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19.6.1990 (BGBl. 1993 II 1013 - SDÜ) in Einklang. Danach ist - und bleibt (vgl. Art. 33 Abs. 1 SDÜ) - die BR Deutschland für die Behandlung des Asylbegehrens des Kl. zu 1 zuständig, weil er über ihre Außengrenze in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien einreiste. Hinsichtlich des anzuwendenden materiellen Rechts verweist Art. 32 SDÜ auf das nationale Recht der zuständigen Vertragspartei. Dies führt nach der oben dargestellten Konzeption der Drittstaatenregelung zur Anwendung des Art. 16a Abs. 1 GG.
Somit ist das Verlassen des Bundesgebiets durch den Kl. zu 1 am 22.4.1996 zwar möglicherweise ordnungsrechtlich relevant, aber ohne Folgen für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Asylgewährung.
II.
Die Kl. sind jedoch nicht als Asylberechtigte anzuerkennen, weil es sich bei ihnen nicht um politisch Verfolgte handelt.