Neustart für geflüchtete Schneiderinnen in Frankfurt
Eine Schneiderei hat sechs Frauen mit Erfahrungen in der Modebranche eingestellt und hilft ihnen in Frankfurt Fuß zu fassen.
FRANKFURT, Deutschland – Mit feinen Stichen näht Reyhane Heidari einen Anzug aus Spitze. Die 25-jährige, die aus Afghanistan geflüchtet ist, zieht aber auch die Fäden ihres Lebens neu.
Reyhane arbeitet inzwischen in einer Schneiderei in Frankfurt. Sie ist im iranischen Exil aufgewachsen und am Höhepunkt der großen Fluchtbewegung 2015 nach Deutschland gekommen. Sie hat das Glück bei „Stitch by Stitch“ einen Job gefunden zu haben. Das Unternehmen wurde von zwei Designerinnen gegründet, die zum Ziel haben, alle ihre Produkte in Deutschland zu produzieren.
Das Unternehmen wurde von der Modedesignerin Claudia Frick und der Grafikdesignerin Nicole von Alvensleben gegründet und beschäftigt sechs geflüchtete Frauen und eine Schneiderin aus Deutschland. Es ist eine Win-Win-Situation für Flüchtlinge, die einen Job brauchen und für das Unternehmen, das Arbeitskräfte braucht.
„Wir geben ihnen eine Plattform, wo sie ihr Können unter Beweis stellen können“, sagt Nicole. „Unternehmen haben oft Schwierigkeiten die richtigen Leute zu finden. Die Flüchtlinge kommen aus Gesellschaften, wo das Handwerk noch lebt und das wollen sie auch hier praktizieren.“
„Hier herrscht eine sehr schwesterliche Atmosphäre“
Reyhane war sechs Monate in Deutschland als sie Nicole und Claudia bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennen gelernt hat. Reyhane hat eine Jacke getragen, die sie selbst gemacht hat. „Der Kragen und die Taschen waren sehr gut gemacht“, sagt Claudia. „Ich habe gesagt ‚Oh mein Gott, sie muss gut sein, wenn sie diese Jacke selbst genäht hat‘.“ Und schon war Reyhane eingestellt.
Die Frauen verdienen neun Euro in der Stunde, was 16 Cent über dem deutschen Mindestlohn liegt. Sie übernehmen sowohl einfache Aufgaben, wie das Annähen von Knöpfen, als auch komplizierte Näharbeiten. „Wir bezahlen uns selbst genau so viel wie unseren Angestellten“, sagt Nicole. „Das ist kein Sweatshop“.
„Hier herrscht eine schwesterliche Atmosphäre “, sagt Claudia. „Wir reden über alles.“
Im Shop ist ein schönes schwarzes Kleid mit einem buntem Muster ausgestellt, das von Heike Merkle, Inhaberin des Frankfurter Labels „Death by Dress“, in Auftrag gegeben wurde.
„Frankfurt ist vielleicht nicht so pulsierend wie Berlin“, so Nicole, „aber es gibt hier eine lebhafte Modeszene. Kunden wollen einzigartige Kleidung, direkt vom Designer, anstatt Outfits aus Modeketten. Es ist wie ein dörflicher Handwerksbetrieb im 21. Jahrhundert.“ Qualifizierte Flüchtlinge bringen die Erfahrung aus ihren Heimatländern mit in die Modeindustrie.
Bevor in Syrien der Krieg begonnen hat, hatte Iman Khatibe ihre eigene Schneiderei in Aleppo, wo sie hauptsächlich Hochzeitskleider, aber auch Unterwäsche und Stickereien angefertigt hat. „Ich habe das Nähen von meiner Großmutter, meiner Tante und meinem Onkel gelernt, die alle im Modegeschäft tätig waren“, erzählt Khatibe.
Sie erkennt Potential darin, den Stil aus Europa und aus dem Nahen Osten miteinander zu verbinden. „Ich bekomme meine Ideen aus Magazinen“, sagt sie, „aber ich mache nicht einfach nach, was ich auf der Straße sehe. Meine Inspiration kommt aus dem Inneren.“
Iman verlässt die Arbeit früher, weil sie ein Baby zu Hause hat. Die jüngeren Schneiderinnen arbeiten an dem heißen Nachmittag durch.
Esraa Ali, 21, aus Damaskus ist in Ausbildung und lernt die unterschiedlichen Nähtechniken. Zwei Tage die Woche geht sie in die Schule und lernt sehr schnell Deutsch.
„Meine Mutter hat mir beigebracht wie Farben zusammenpassen, von meinem Vater habe ich gelernt wie man eine Nähmaschine bedient.“
Obwohl Esraa die traditionellen langen Mäntel und Kleider, die Frauen in Syrien tragen, liebt, war sie von dem Disney-Film „Cinderella“ inspiriert. „Ich habe noch nie so schöne Kleider gesehen“, erzählt Esraa.
Esraa hat bei einem Nähwettbewerb in Frankfurt ihr eigenes Kleid designt, genäht und vorgestellt. Das Motto war „Roaring Twenties“. Ihr rosafarbenes Kleid und der dazu passende Hijab waren mit grauer Spitze und schwarzen Perlen bestickt. „Es sollte die syrischen ‚Roaring Twenties‘ darstellen“, lacht sie.
Am Tisch nebenan arbeitet Reyhane an der Spitze für ihren Anzug. Dabei erinnert sie sich daran, wie sie in Mashhad, Iran, ihr eigenes Geschäft hatte und ihre eigene Chefin war. Sie stammt aus einer Schneiderfamilie, die ursprünglich aus Herat in Afghanistan kommt. „Meine Mutter hat mir beigebracht wie Farben zusammenpassen, von meinem Vater habe ich gelernt wie man eine Nähmaschine bedient.“
Von zu Hause aus hat sie Kleidung für afghanische und iranische KundInnen genäht. „Ich vermisse die Textilien“, sagt sie. „Die Farben, die Muster, die von Hand hergestellten afghanischen Teppiche.“
Reyhane mischt gerne den afghanischen und europäischen Stil. Sie trägt Jeans, sogar kurze Röcke mit Leggings und immer einen Hijab, „weil ich es mag“. Sie ist ehrgeizig und hofft irgendwann ihre eigenen Kleider designen zu können und ein Geschäft in Frankfurt zu eröffnen.
Nachdem sie den Irak verlassen hat, hat Reyhane den Faden in Deutschland wieder aufgenommen. „Schritt für Schritt, Stich für Stich“, sagt sie. „Man könnte sagen, ich nähe mein Leben wieder zusammen. Ja, genauso fühlt es sich an.“