Neuer UNHCR-Bericht wirft Schlaglicht auf die Bildungskrise der Flüchtlinge

Über 3,5 Millionen Flüchtlingskinder sind letztes Jahr nicht zur Schule gegangen, besonders schwierig ist die Lage in einkommensschwachen Aufnahmeländern.

Lydiella aus Burundi, 13, lebt seit 2015 im Flüchtlingscamp Mahama in Ost-Ruanda. Sie hat zunächst Englisch gelernt und besucht nun eine örtliche Schule. © UNHCR/Anthony Karumba

GENF, Schweiz – Über 3,5 Millionen Flüchtlingskinder im Alter zwischen 5 und 17 haben im vergangenen Jahr keine Schule besucht, heißt es in einem UNHCR-Bericht, der am heutigen Dienstag veröffentlicht wurde.

Rund 1,5 Millionen Flüchtlingskinder besuchten dem Bericht zufolge keine Grundschule und rund 2 Millionen Jugendliche keine Sekundarschule.

„Von den 17,2 Millionen Flüchtlingen unter UNHCR-Mandat sind die Hälfte Kinder“, sagt UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi. „Bildung für diese jungen Menschen ist von elementarer Bedeutung für die friedliche und nachhaltige Entwicklung der Länder, die sie aufgenommen haben, aber auch für die ihrer Heimatländer, wenn sie zurückkehren können. Und trotzdem geht die Schere zwischen den Entwicklungschancen der Flüchtlinge und denen anderer Kinder und Jugendlicher in aller Welt immer weiter auseinander.“

Der Bericht “Left Behind: Refugee Education in Crisis” vergleicht UNHCR-Quellen und -Statistiken zur Schulbildung von Flüchtlingen zur Einschulungsquote weltweit mit Daten von UNESCO, der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur. 91% aller Kinder weltweit besuchen eine Grundschule. In der Gruppe der Flüchtlinge liegt dieser Prozentsatz mit 61% weit darunter, in einkommensschwachen Ländern liegt er sogar bei weniger als 50%.

Mit zunehmendem Alter werden die Schwierigkeiten noch größer. Nur 23% aller jugendlichen Flüchtlinge besuchen eine weiterführende Schule, verglichen mit 84% weltweit. In einkommensschwachen Ländern können sogar nur 9% aller Flüchtlinge eine weiterführende Schule besuchen.

Kritisch ist die Lage bei der Hochschulbildung. Weltweit sind 36% aller Menschen in einer tertiären Bildungseinrichtung eingeschrieben. Unter den Flüchtlingen liegt diese Quote unverändert bei lediglich 1%, trotz einer deutlich gestiegenen Gesamtzahl dank weiterer Stipendien und Förderprogramme.

Die internationale Gemeinschaft wird ihre selbstgesteckten Ziele für nachhaltige Entwicklung (17 Zielsetzungen zur Transformation unserer Welt bis 2030, „SDG“) verfehlen, wenn sie nicht entschlossen handelt um diese Entwicklungen umzukehren. Die vierte Zielsetzung der SDG, „Bildung für alle – inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern“ wird sich nicht umsetzen lassen, ohne die Bedürfnisse der gefährdeten Bevölkerungsgruppen in den Blick zu nehmen. Zu ihnen zählen Flüchtlinge und andere gewaltsam vertriebene Menschen.

Im Bericht wird dazu aufgerufen, Bildung als fundamentalen Bestandteil der Reaktion auf Flüchtlingsnotlagen anzuerkennen und durch langfristige Planung und verlässliche Finanzierung zu fördern. Regierungen müssen Flüchtlingen Zugang zum nationalen Bildungssystem gewähren, dies ist die effektivste, gerechteste und nachhaltigste Strategie. Der Bericht lenkt den Blick auch auf einige nennenswerte Versuche, diese Strategie in die Tat umzusetzen – auch in Ländern, deren finanziellen Mittel bereits knapp sind.

Die Ergebnisse betonen nochmals die Wichtigkeit von hochwertiger Lehre und von nationalen und internationalen Unterstützernetzwerken. Letztere sind notwendig, um die Ausbildung und Motivation der Lehrer zu gewährleisten, damit sie in den schwierigsten Lehrumgebungen der Welt positiven Einfluss nehmen können. Im Bericht werden außerdem mehrere individuelle Geschichten erzählt. Sie belegen, dass Flüchtlinge sich verzweifelt wünschen, Schulen und Universitäten zu besuchen – in dem Wissen dass Bildung ihr Leben grundlegend verändern kann – es aber gleichzeitig viel zu wenige Lehrer, Schulräume, Schulbücher und Unterstützungsprogramme gibt, um diesen enormen Bedarf zu decken.

Es ist der zweite Jährliche Bildungsbericht von UNHCR. Der erste Bericht, betitelt mit “Missing Out”, wurde im Vorfeld des Gipfeltreffens der UN Vollversammlung zum Thema Flucht und Migration im September 2016 veröffentlicht. In der von 193 Staaten unterzeichneten New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten wurde Bildung oberste Priorität bei internationalen Reaktionen eingeräumt.

„Trotz der überwältigenden Unterstützung für die New Yorker Erklärung laufen Flüchtlinge ein Jahr später dennoch Gefahr, in Sachen Bildung im Stich gelassen zu werden“ sagte Grandi. „Flüchtlingen gleichberechtigten Zugang zu qualitativ hochwertigen Bildungsangeboten zu garantieren ist unser aller Verantwortung. Es wird Zeit, unseren Worten Taten folgen zu lassen.“

Der UNHCR-Bericht zeigt, dass unter den Flüchtlingen die Einschulungsquote von Grundschulkindern im vergangenen Schuljahr von 50% auf 61% angestiegen ist. Dies ist hauptsächlich auf die Bildungsinvestitionen und bessere Umsetzung von Bildungsmaßnahmen für syrische Flüchtlinge zurückzuführen. Zusätzlich lässt sich der Anstieg mit den vielen Flüchtlingskindern erklären, die nach Europa gekommen sind, wo Schulpflicht herrscht. Im gleichen Zeitraum stagnierte der Anteil der Flüchtlinge, die weiterführende Schulen besuchen; er blieb bei weniger als einem Viertel.

Es gibt immer noch große Hürden, vor allem weil fast ein Drittel aller Flüchtlinge in einkommensschwachen Ländern leben. Dort gehen die allerwenigsten Kinder zur Schule: sechs Mal weniger als im Rest der Welt. Oft haben die Aufnahmeländer bereits Schwierigkeiten, den eigenen Kindern Schulbildung zu ermöglichen. Zusätzlich werden sie dann vor die Aufgabe gestellt, weitere Plätze in Schulen, ausreichend ausgebildete und qualifizierte Lehrer und Lehrmaterial für zehntausende oder gar hunderttausende weitere Kinder bereitzustellen, die die Unterrichtssprache nicht sprechen und in vielen Fällen etwa vier Jahre Schulbildung verpasst haben.

“Die Fortschritte bei der Schulbildung der Syrischen Flüchtlingskinder macht die Möglichkeit, diese Bildungskrise der Flüchtlingskinder umzukehren, klar deutlich“, sagt Grandi. „Aber die katastrophale Einschulungsquote von Flüchtlingskindern in einkommensschwachen Regionen zeigt wiederum die Notwendigkeit, mehr in diese oft vergessenen Aufnahmeländer zu investieren.“

Die englische Multimediaversion des Berichts kann hier abgerufen werden:
http://www.unhcr.org/left-behind

Weitere Informationen zu diesem Thema – inklusive Ansprechpartner, einer PDF-Version, den zugehörigen Fotos, Videos und Infografiken finden Sie hier:
http://www.unhcr.org/left-behind-media