Flüchtlinge bringen neues Leben in ein kleines Dorf in Brandenburg

Die Anzahl der Schulkinder in Golzow, nahe der polnischen Grenze nahm stetig ab – syrische Flüchtlinge bewahrten die Schule vor der Schließung.

2015 hat der Zuzug syrischer Flüchtlingskinder die Schule vor der Schließung gerettet und der immer kleiner werdenden Dorfgemeinschaft neues Leben eingehaucht. © UNHCR/ Gordon Welters

GOLZOW, Deutschland – 2015 hat der Zuzug syrischer Flüchtlingskinder die Schule vor der Schließung gerettet und der immer kleiner werdenden Dorfgemeinschaft neues Leben eingehaucht. Knapp zwei Jahre später sind sie ein fester Bestandteil der Gemeinde.

“Das war kein Leben in Syrien. Wir hatten ständig Angst. Ich wollte einfach nur Frieden, nichts mehr“, sagt die Syrerin Halima Taha, 30, die vor vier Jahren mit ihrem Mann und ihren drei Kinder vor dem Krieg in ihrem Heimatland floh. In Deutschland angekommen, haben sie sich freiwillig dazu entschieden in das kleine Dorf Golzow nahe der deutsch-polnischen Grenze zu ziehen.

Zu dieser Zeit hatte Halima keinen Schimmer davon, was ihre Ankunft für die Bewohner des Dorfes bedeuten würde. Damals verhieß der Bevölkerungsschwund nichts Gutes für die Grundschule in Golzow, die Filmkenner durch die Langzeitdokumentation „Die Kinder von Golzow“ kennen.

Die Berühmtheit der Schule half jedoch nicht gegen die Konsequenzen der schwindenden Bevölkerungszahl. Innerhalb von nur acht Jahren schrumpfte die Bevölkerung Golzows um zwölf Prozent auf nur 835 Einwohner. Dann passierte im März 2015 das Unvorstellbare. Zum ersten Mal seit ihrer Öffnung im Jahr 1961 schaffte es die Schule nicht die erforderliche Mindestanzahl von Schülern für die erste Klasse zusammenzubekommen.

„Es war ein zusätzlicher Vorteil, dass wir jemandem helfen können, der im Gegenzug auch uns hilft“

“Viele Menschen sind in den vergangenen Jahren weggezogen”, erklärt die Schulleiterin Gabi Thomas. “Es gab einfach nicht genug junge Eltern mit Kindern im Schulalter. Ein wenig Action ist in ländlichen Gegenden besonders wichtig – und das bringen Kinder mit.“

Die Gemeinde fürchtete, dass dies den Anfang vom Ende für ihre geliebte Schule bedeuten würde. Dann aber hatte der Bürgermeister eine zündende Idee. Er fragte die lokalen Behörden an, Flüchtlingsfamilien mit Kindern im Grundschulalter zu finden, die in einer der vielen leerstehenden Wohnungen Golzows einziehen wollen. „Es war ein zusätzlicher Vorteil, dass wir jemandem helfen können, der im Gegenzug auch uns hilft“, sagt Bürgermeister Schütz.

60 Kilometer entfernt waren Halima und ihre junge Familie in Brandenburgs größter Aufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt angekommen, völlig erschöpft nach dreieinhalb Jahren auf der Durchreise von Syrien nach Deutschland. Als sie gefragt wurden, ob sie in eine Wohnung in einem nahegelegenen Ort einziehen möchten, ergriffen sie die Chance.

“Es war uns egal was genau für eine Wohnung es war, solange sie sauber war und nette Menschen dort wohnten”, sagt Halima. „Wir dachten, warum nicht?“ Monate später kamen Halima, ihre Familie und eine weitere syrische Familie in Golzow an. Darunter sechs Kinder im schulpflichtigen Alter – rechtzeitig zum Beginn des neuen Schuljahres.

Obwohl sie ein wenig älter waren als ihre neuen Klassenkameraden, wurden drei Neuankömmlinge in die erste Klasse eingeschult und hoben die Anzahl der SchülerInnen über die verpflichtende Mindestanzahl von 15. Es war eine win-win Situation für alle – die erste Klasse aus diesem Schuljahr war gerettet und die beiden syrischen Familien bekamen ein neues zu Hause.

Knappe zwei Jahre später hat sich eine der Schulretterinnen, Halimas 10-jährige Tochter Kalama, gut in ihrem neuen Umfeld eingelebt. „Natürlich sind viele Sachen anders hier“, sagt sie in der Pause, umgeben von einer Gruppe ihrer deutschen Schulfreunde.

Kamala und ihre Familie sind Muslime. Sie fand es sehr spannend etwas über die deutschen Bräuche zu lernen, die ihr aus Syrien weniger oder gar nicht bekannt sind. „In Syrien haben wir nie Weihnachten, Ostern oder Halloween gefeiert“, fügt sie in fast fließendem Deutsch hinzu. “Ich mag Ostern, weil wir dann Ostereier suchen.”

Kamala ist eine gute Schülerin und wurde aus der Einführungsklasse direkt in die dritte Klasse versetzt. Ihre Lieblingsfächer sind Mathe, Musik und Sport. Außerhalb der Schule spielt sie mit Freundinnen Badminton im Schulclub oder lernt Reiten bei den Nachbarn, die eigene Ponys haben.

„Wir helfen uns hier alle gegenseitig. Golzow ist eine zweite Familie für uns.“

“Sie möchten etwas über uns lernen und wir möchten mehr von ihnen erfahren“, sagt Kamala über ihre deutschen Klassenkameraden. „Es gibt so viel zu erzählen und zu erklären. Manchmal übersetze ich für die anderen in Arabisch oder Deutsch.“

Wie ihre Tochter, haben sich Kalimas Eltern so gut eingelebt, dass sie oft als Vermittler zwischen Einheimischen und Neuankömmlingen fungieren. Im letzten Februar haben sie eine dritte syrische Familie in Golzow willkommen geheißen.

“Wir haben ihnen in vielen Dingen geholfen, wenn sie nicht wussten wo bestimmte Dinge sind oder wie bestimmte Dinge hier laufen”, sagt Halima, die davon überzeugt ist, dass dies das Minimum ist was sie tun können nachdem sie so gut aufgenommen worden sind.

“Jeder hier hat uns mit Blumen willkommen geheißen“, erinnert sich Halima. „Ich war so überrascht, ich habe nur noch geweint. Wenn mehr Familien kommen, sind sie hier sehr willkommen. Golzow ist sehr offen. Es ist ein sehr kleines Dorf mit wunderbaren Menschen.”

Halima und ihre Familie haben jetzt ihren Flüchtlingsstatus erhalten, der ihnen erlaubt in Deutschland zu leben und zu arbeiten, zunächst einmal beschränkt auf drei Jahre. Halima arbeitet in Teilzeit als Arabisch-Übersetzerin für eine deutsche Stiftung, die Asylsuchende unterstützt. Fadi ist auf der Suche nach Arbeit und lernt gerade für seine deutsche Führerscheinprüfung. Wenn er nicht lernt, geht er gerne fischen oder pflegt seinen kleinen Garten gemeinsam mit den Nachbarn.

Trotz der guten Eingewöhnung in das Dorfleben vermissen Fadi und Halima ihr altes Leben. „Es ist manchmal schwer“, sagt Fadi, 40, der zu Hause in Latakia ein Immobilienbüro geleitet hat. „Wir hatten ein gutes Leben in Syrien. Dann aber kam der Krieg und wir mussten unsere Heimat verlassen. Jetzt versuchen wir uns hier erneut ein gutes Leben aufzubauen. Wir helfen uns hier alle gegenseitig. Golzow ist eine zweite Familie für uns. Aber natürlich möchten wir nichts mehr, als dass der Krieg in Syrien endlich ein Ende hat, damit wir wieder nach Hause können.“

“Ich würde mir wünschen, dass meine Kinder und Ich eines Tages nach Syrien zurückkehren können”, stimmt Halima zu. „Am Ende bleibt deine Heimat dein zu Hause. Während wir warten, müssen die Kinder lernen, studieren und sich eine gute berufliche Perspektive erarbeiten. Hier sind wir immerhin sicher.“