Veronica Handl: Wie meine Geschichte meine Arbeit mit Flüchtlingen prägte

Ich wurde als Tochter eines Österreichers jüdischer Abstammung, der im Jahr 1938 – als Hitler in Österreich einmarschierte – nach Argentinien flüchten musste, und eine Uruguayerin in Argentinien geboren. Seit 1976 herrschte eine Militärdiktatur, die schlimmer war als alle anderen zuvor. Es begannen Leute zu „verschwinden“. Verschwinden heißt: Man wird entführt, man bekommt eine Kapuze über den Kopf und wird an einen unbekannten Ort verschleppt. Nach den qualvollen Befragungen wurden die meisten umgebracht.

 

© UNHCR

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Man hat mir eine Kapuze über den Kopf gezogen und ich wurde an einen unbekannten Ort entführt. Nun war auch ich eine „Verschwundene“. Vier Monate lang versuchte man mit Gewalt Informationen aus mir zu bekommen, sperrte man mich in eine unbeleuchtete, enge Zelle. Wegen einer Beinverletzung konnte ich nicht mehr auf das WC gehen. Also wurde meine Zelle zu meiner Toilette und es hat stark gestunken – aber anders ging es nicht.

Einmal kamen die Militärs und es wurden 30 „Verschwundene“ mitgenommen – ich war die Nummer 19. Doch als die Militärs meine Zelle aufmachten, waren sie wegen des Gestanks und der Dunkelheit angewidert und schlugen knallend die Zellentür zu. Das hat mein Leben gerettet. Später erfuhr ich, dass alle 30 beim sogenannten „Massaker von Fátima“ in die Luft gesprengt wurden. Noch heute nagt das schlechte Gewissen an mir. Statt mir wurde jemand anderer mitgenommen. Auch wenn mein Verstand mir sagt „du bist nicht schuld“, das Herz sagt etwas anderes.

Das Massaker wurde zu einem internationaler Skandal und die wenige Verschwundenen, die noch lebten, wurden wie ich in ein reguläres Gefängnis verlegt. Eineinhalb Jahre blieb ich inhaftiert. In der Zeit kam mein Sohn zur Welt. Eines Tages, ganz plötzlich, wurde ich in den Morgenstunden mitgenommen und zum Flughafen gebracht. Erst in Wien erfuhr ich, dass ich ein „Fall“ von Amnesty International war. Am Anfang – ohne Deutsch zu sprechen – habe ich in Österreich als Putzfrau und in Fabriken gearbeitet, um uns über Wasser zu halten.

Nach einigen Jahren kam ich durch Zufall zur Flüchtlingsarbeit und wurde Betreuerin in einem der vielen Flüchtlingshäuser. Endlich hatte ich eine wirkliche Aufgabe! Ich konnte Asylwerber aus verschiedensten Länder in ihrem Alltag unterstützen. Wir organisierten viele Projekte, um sie zu beschäftigen– unter anderem ein riesiges gemeinsames Gemälde an der Hofwand des Flüchtlingsheims. Ich lernte, mich ihnen zu öffnen, meine Scham zu überwinden – denn wenn ich einen Teil von mir gab, wurde ihnen bewusst, dass sie nicht alleine waren mit ihrem Schicksal, dass es jemanden gibt, der sie versteht. Bewundernswert ist, wie Menschen mit ihrem Schicksal umgehen - was nicht gerade leicht ist. Ich versuche ihnen auch klarzumachen, dass sie nicht die Opfer sind, denn sie konnten im Gegensatz zu den Zurückgebliebenen fliehen. Die Arbeit mit diesen Menschen ist für mich unglaublich erfüllend, eine Bereicherung!

Auch heute, nach meiner Pensionierung, arbeite ich noch in diesem Bereich.

 

Veronica auf FM4


Jede Familie, die durch Krieg zerrissen wird, ist eine zu viel

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