Adin, ehemaliger Flüchtling aus Bosnien und Herzegowina

Im Sommer 1992 kamen meine Familie und ich in einem überfüllten Zug direkt aus einem serbischen Flüchtlingslager nach Österreich. Wir landeten deshalb in Österreich, weil meine Eltern ihre Eheringe, die sie für die acht Zugkarten, so groß war damals unsere Familie, verkaufen mussten. Für weiter hat es nicht gereicht. Wir wollten aber ganz weit weg, wo uns der Krieg nicht mehr erreichen konnte.

© privat

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Nach einem kurzen Aufenthalt in Traiskirchen, brachte man uns nach Wiener Neustadt. Dort, in der Turnhalle einer Hauptschule, blieben wir mehrere Wochen lang mit vielen anderen Flüchtlingen aus Bosnien untergebracht. Eines Tages hieß es, die Schulferien wären bald zu Ende und wir müssen die Turnhalle verlassen. Wir landeten mit einer anderen bosnischen Familie in Pöchlarn. Ein Pfarrer und viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer kümmerten sich die ersten Monate um uns. Alles war sehr fremd, und außer „Hände hoch!“, ein gängiger Satz, den wir aus den Partisanenfilmen kannten, gab unser Sprachvermögen auf Deutsch nicht her. Dann ging der Sommer 1992 vorüber. Wir waren Vertriebene, offiziell hießen wir De-facto- Flüchtlinge, und unsere österreichischen Helfer nannten uns Gäste Österreichs. Ich war 19 Jahre alt. Meine Welt, meine Erinnerungen, meine Freunde, meine Jugend, alles ging im Kriegsgewirr für immer verloren. Die Gäste Österreichs blieben.

© privat. Adin Hamzic (links im Bild) und seine Familie in Pöchlarn, 1993

© privat. Adin Hamzic (links im Bild) und seine Familie in Pöchlarn, 1993

Im Sommer 2012 lande ich wieder in Wiener Neustadt. Ich habe mittlerweile mein Studium der Sozialen Arbeit abgeschlossen und engagiere mich im Flüchtlingsbereich. Jeden Tag lerne ich neue Familien kennen, sie kommen aus Tschetschenien, Afghanistan, Irak, Pakistan, Syrien. Sie kämpfen mit den gleichen Problemen, mit denen meine Familie und ich vor zwanzig Jahren auch gekämpft haben: Angst, Ungewissheit, sprachliche Hürden, Vereinsamung, Hilfslosigkeit. In vielen von ihnen erkenne ich den 19-jährigen Flüchtling, der ich einst war, auf der Suche nach Sicherheit, Ruhe, Geborgenheit, Würde. Sie blicken immer wieder zurück, um zu sehen, ob das unsichtbare Band, das sie mit der Heimat verbindet, nicht völlig gerissen ist. Hinter ihnen die Flucht und vor ihnen noch ein langer Weg. Ich darf sie ein Stück weit auf ihrem Weg begleiten, und sehe dann zu, wie sie weiterziehen. Sie sollen aber irgendwann ankommen. In ihrer neuen Heimat, in ihrem neuen Leben. Und ich möchte ihnen wieder begegnen, als Tischler, als Ärzte, als Lehrer, als das, was sie sein wollen.

Die Flucht ist oft die letzte Wahl, die man im Krieg noch frei treffen kann. Es gehört ungeheuerlich viel Mut dazu, diese Wahl zu treffen. Dieser Mut soll mit Respekt begegnet werden.

 

Adin ist bei der Caritas Wien/NÖ-Ost im Flüchtlingsbereich tätig.


Jede Familie, die durch Krieg zerrissen wird, ist eine zu viel

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