Mit Fotos die Grenze öffnen

Kaspar Surber

Kaspar Surber

Da ist er wieder, der junge Tunesier, der angeboten hatte, eine Einwegkamera ins Flüchtlingslager zu schmuggeln. Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns noch einmal wiedersehen. «Wir mussten beim Fotografieren aufpassen wegen der Polizei. Aber es ist alles drauf, das ganze Durcheinander!» Wir handeln einen Preis aus. Der Flüchtling macht das Victory-Zeichen und verschwindet entlang der Strasse.

Ich war im Frühling 2011 für eine Reportage auf die Mittelmeerinsel Lampedusa gekommen: Mehr als 2000 Bootsflüchtlinge haben es auf die kleinen Insel zwischen Tunesien und Lampedusa geschafft: Aufgebrochen in den Wirren des arabischen Frühlings in Tunesien, auf der Flucht vor der Militärdiktatur in Eritrea und dem Bürgerkrieg in Somalia.

Das Flüchtlingslager bietet nur Platz für 800 Menschen. Die Mehrzahl muss deshalb im Freien übernachten. Journalisten ist der Zutritt zum Lager von den Behörden nicht gestattet, auch auf wiederholte Nachfrage nicht. Manchmal schaffen es die Insassen aus dem überfüllten Lager in die Stadt und erzählen von den skandalösen Bedingungen: Das Essen ist rationiert, Duschen gibt es keine, und das Warten führt zu einer depressiven Stimmung.

In einem Pizzaladen hat ein Tunesier die Idee, eine Einwegkamera ins Lager zu schmuggeln und die Zustände zu dokumentieren. Ich kann eine solche Kamera in einer Papeterie auftreiben. Ob auf den Bildern tatsächlich etwas zu sehen ist? Nach der Rückgabe verstaute ich die Kamera tief unten in meinem Rucksack. Privilegiert durch meinen Reisepass kehrte ich in die Schweiz zurück, wo ich die Fotos zum Entwickeln brachte, gespannt auf das Ergebnis.

Tatsächlich ist auf den Fotos das ganze Lager dokumentiert. Und was mir an den geschmuggelten Bildern des jungen Tunesiers besonders gefällt: Dass sie die herrschende Ordnung durchbrechen: Sie zeigen etwas, was die Öffentlichkeit nicht sehen soll, und heben so die Grenzen ein Stück weit auf.

Kaspar Surber

Kaspar Surber, 34, ist Journalist bei der Wochenzeitung WOZ in Zürich. Die Fotos aus dem Lager in Lampedusa sind in seinem Buch «An Europas Grenze. Fluchten, Fallen, Frontex» zu sehen.


Jede Familie, die durch Krieg zerrissen wird, ist eine zu viel

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