Flucht über die Botschaft in Prag

© privat

© privat

Meine Eltern hatten im Juli 1989 nur 24 Stunden Zeit das Land gen Westen zu verlassen. Ich war 19 Jahre alt und durfte nicht mit. 24 Stunden für den schlimmsten Abschied meines Lebens, der auch dann noch von der Stasi kontrolliert wurde.

Ich wollte das nicht akzeptieren. Der Wille, meine Eltern wieder zu sehen, war stärker als jede Mauer und jede Diktatur. Ich setzte mich im September 1989 in einen Zug nach Prag, um dort Zuflucht in der bundesdeutschen Botschaft zu suchen und meine Ausreise zu erzwingen.

Bereits an der tschechischen Grenze bekam ich die Staatsmacht zu spüren. Ganz-Körper-Kontrolle durch eine DDR-Zöllnerin. Nackt stand ich vor ihr. Wieder Tränen, die leise aus mir drangen. Eine Demütigung ohne Gleichen. Sie konnte mir nichts nachweisen und ließ von mir ab.

Elf Stunden bin ich durch Prag gelaufen und habe manch brenzlige Situation erlebt, um dieses eine Haus zu finden. Ein Haus in Prag, von dem ich nichts wusste, außer dass die Deutschlandfahne dort wehen musste. Nach elf Stunden bestieg ich ein Taxi und bat den Fahrer unter Tränen, mich zur Botschaft zu fahren. Der weigerte sich zunächst, aber als ich ihm mein gesamtes Hab und Gut in Form von Geld und Schmuck gab, fuhr er mich in die Nähe des Palais Lobkowicz. Die letzten Schritte ging ich total verängstigt. Eine Kabeltrommel, die an den Zaun gelehnt war, war mein Sprungbrett in die Freiheit. Auch bewaffnete tschechische Milizen konnten mich nicht mehr aufhalten. Ich habe es geschafft. Ich war in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland und wurde von einem jungen Mann mit den Worten „Willkommen in der Freiheit“ begrüßt. Ein unwahrscheinlich emotionaler Moment. Der erste Schritt war getan. Nun hieß es ausharren. Niemand konnte mich überreden, zurück in diese schreckliche Diktatur zu gehen. Meine Eltern immer im Kopf, hieß es stark zu sein.

Am 30. September 1989 um 18:58 Uhr dann die Worte von Außenminister Hans-Dietrich-Genscher: „Wir sind zu Ihnen gekommen um Ihnen mitzuteilen…….“. Ich brach zusammen und weinte vor Glück. Mama und Papa, euer Sohn kommt zu euch!

Wir sahen uns wieder und wir konnten noch viele schöne Jahre gemeinsam in Freiheit verbringen, bis meine liebe Mutter 2010 starb. Honecker, Mielke und die Anderen konnten uns trennen, aber nicht lang. Unsere Liebe und der Drang nach Freiheit waren stärker!

Jens Hase, DDR-Flüchtling

Herzlichen Dank an das Zeitzeugenbüro für diese Geschichte.

 


Jede Familie, die durch Krieg zerrissen wird, ist eine zu viel

Erfahren Sie mehr über unsere Arbeit mit Flüchtlingen UNHCR.org