Endlich raus aus der DDR

Cliewe Juritza

Foto: privat

Mein erster Fluchtversuch führte mich 1984 nach Ungarn. Ich dachte, der Eiserne Vorhang sei in Ungarn durchlässiger als in der DDR, aber ich hatte mich getäuscht. Schon im Zug bin ich der Polizei aufgefallen, Ich wurde verhört, freigelassen, überwacht, wieder zum Bahnhof gebracht und zurück in die DDR geschickt.

In Dresden machte ich mich per Anhalter und zu Fuß auf zu meinem nächsten Fluchtversuch in Richtung Grenze. Im Dunkeln schlich ich in die Nähe des Grenzgebietes und versteckte mich im Straßengraben und im Gebüsch, sobald sich ein Auto näherte. Im Dunkeln lief ich durch den Wald und schwenkte meine Tasche vor mir her, weil ich nichts sehen konnte. Schließlich ruhte ich mich aus und ging in der Morgendämmerung weiter, bis ich vor dem ersten Grenzzaun stand.

Als ich ihn berührte, bekam ich einen Stromschlag. Ich begann zu graben, um unter dem Zaun hindurch zu schlüpfen und stieß schon bald auf Beton. Es blieb also nur der Weg über den Zaun. Aber wie? Ich blickte mich um und sah frisch gefällte schlanke Baumstämme am Waldrand liegen. Einen der Stämme schleppte ich zum Grenzzaun, richtete ihn auf und ließ ihn auf den Zaun fallen.

Sofort ging in der Nähe eine Warnlampe an. Ich war entdeckt. Hastig rannte ich zurück in den Wald. Plötzlich stand ich in einem Dorf. Aus meiner Stasi-Akte weiß ich, dass es in oder bei Mödlareuth war. Ein Motorrad kam auf mich zu. Ich versuchte es anzuhalten und glücklicherweise stoppte der Fahrer und nahm mich wortlos mit. Wir fuhren aus dem Dorf heraus und im selben Moment kam die Polizei mit Blaulicht und Sirene ins Dorf hineingefahren. Ich war entwischt.

Wenn der gesamte Grenzzaun unter Strom stand, musste der Weg durchs Wasser führen. Per Zug fuhr ich in Richtung Eisenach und von dort weiter in Richtung Grenze. Und wieder fiel ich der Transportpolizei auf, weil ich keine Berechtigung hatte, mich in einem grenznahen Zug aufzuhalten. Ich war müde, seit mehreren Tagen unterwegs, deprimiert, ausgelaugt, hungrig, dreckig. Als mich der Polizist fragte, ob ich fliehen wolle, sagte ich ja.

Ich wusste, dafür würde ich ins Gefängnis gehen und ich hoffte, dass die Bundesrepublik Deutschland mich freikaufen würde. Tatsächlich wurde ich zu einem Jahr Gefängnis verurteilt und tatsächlich hat die Bundesrepublik für mich bezahlt, so dass ich nach 10 Monaten aus dem Gefängnis in der DDR in die Bundesrepublik entlassen wurde.

Ich denke immer wieder über den Motorradfahrer nach. Er ist ein hohes Risiko eingegangen. Wären wir angehalten worden, hätte auch er mit einer Gefängnisstrafe rechnen müssen.

Cliewe Juritza

Herzlichen Dank an das Zeitzeugenbüro für diese Geschichte.


Jede Familie, die durch Krieg zerrissen wird, ist eine zu viel

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